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Umsetzung der europäischen Sicherheitsstrategie im Kontext der ESVP (Rede im Plenum)


Herr Präsident, verehrte Kollegen! Herr Präsident, zunächst möchte ich Sie darauf aufmerksam machen, dass mir der Kollege Dimitrakopoulos seine zwei Minuten Redezeit überlassen hat, sodass ich in der glücklichen Lage bin, über sieben Minuten Redezeit zu verfügen.

Wir sprechen über die Sicherheitsstrategie der Europäischen Union, die am 12. September 2003 von den Staats- und Regierungschefs auf Vorschlag des hohen Beauftragten Solana beschlossen wurde. Die Grundzüge dieser Sicherheitsstrategie sind nach wie vor aktuell, aber wir müssen auch feststellen, dass sich die geopolitische Lage in dieser Zeit verändert hat, dass hier andere Schwerpunkte zu setzen sind, und deswegen fordern wir in diesem Bericht, dass der Rat dem Europäischen Parlament einmal in jeder Wahlperiode einen Bericht über die Sicherheitsstrategie der Europäischen Union vorlegt, der dann in den nationalen Parlamenten und im Europäischen Parlament diskutiert werden kann. So ist es auch in den Vereinigten Staaten. Auch dort findet in jeder Legislaturperiode einmal eine derartige zentrale Berichterstattung statt, und deswegen könnte eine derartige Einrichtung bei uns auch dazu beitragen, dass der transatlantische Dialog in diesen Fragen intensiviert wird.

Wir setzen ja in der Strategie in Bezug auf die europäische Sicherheit andere Akzente, als die Vereinigten Staaten das derzeit tun. Wir setzen auf eine multipolare Weltordnung. Solana nennt das effektiven Multilateralismus. Wir setzen nicht auf Koalitionen von Willigen, sondern wir setzen auf die Charta der Vereinten Nationen und auf die internationalen Organisationen. Wenn wir mit dieser Strategie Erfolg haben wollen, müssen wir uns auch darüber im Klaren sein, dass es uns nur gelingen wird, wenn es uns auch gelingt, die Effizienz der internationalen Organisationen zu verbessern.

Der Bericht enthält des Weiteren einen Vorschlag für eine neue Definition des nächsten Zieles, das wir anstreben sollen, und zwar die Sicherheits- und Verteidigungsunion. Die Sicherheits- und Verteidigungsunion, das ist auch etwas, was die Bürger der Europäischen Union wollen, denn 70 % der Bürger der Europäischen Union wollen nach Meinungsumfragen, dass die Europäische Union Zuständigkeiten für die Sicherheits- und Verteidigungspolitik und für ihre Sicherheit erhält. Das erwarten die Bürger von der Europäischen Union.

Was aber ist eine Sicherheits- und Verteidigungsunion? Dazu gehören einige Elemente wie beispielsweise der Europäische Außenminister, so wie er in dem Verfassungsentwurf vorgeschlagen ist. Wir schlagen zusätzlich einen stellvertretenden Außenminister vor, der auch für Fragen der Verteidigung zuständig sein soll. Warum? Ich bin – derzeit noch – Vorsitzender des Unterausschusses des Europäischen Parlaments für Sicherheit und Verteidigung. Aber mir fehlt ein Ansprechpartner auf der Seite der Exekutive. Das kommt auch darin zum Ausdruck, dass hier auf der Ratsbank niemand Platz genommen hat.

Wir brauchen bei der Exekutive einen Ansprechpartner in diesen Fragen, die sich entwickeln. Deswegen unsere Forderung nach einem stellvertretenden Außenminister. Dazu gehört auch – das steht nicht in diesem Bericht, aber ich weiß, dass Elmar Brok darauf achtet – ein gemeinsamer diplomatischer Dienst und eine gegenseitige Beistandsverpflichtung, wie sie in dem Verfassungsentwurf vorgeschlagen ist, wie sie aber auch bereits in dem Brüsseler Vertrag enthalten ist – der Grundlage der Westeuropäischen Union.

Mein persönlicher Vorschlag wäre, dass wir dieses Projekt einer Sicherheits- und Verteidigungsunion in den Mittelpunkt stellen sollten, wenn wir versuchen werden, den Verfassungsprozess wieder anzustoßen. Ich bin davon überzeugt, dass es leichter ist, die Menschen davon zu überzeugen, dass sie eine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik wollen, als ihnen noch einmal zu erklären, was eine Verfassung ist.

In der Vergangenheit waren wir immer dann erfolgreich, wenn wir zuerst gesagt haben, was wir tun wollen, und dann daraus abgeleitet haben, welche Institutionen und welche institutionellen Änderungen notwendig sind. Darum glaube ich, dass es sinnvoll wäre, dieses Projekt in den Mittelpunkt des Verfassungsprozesses zu stellen.

Wir haben heute Truppen unter dem Kommando der Europäischen Union. Sie stehen in Bosnien-Herzegowina und im Kongo. Ab Anfang des Jahres 2007 werden wir in jedem Halbjahr zwei Gefechtsverbände zur Verfügung haben, auf Englisch haben sie den schönen Namen battle groups , das sind diese Gefechtsverbände, die kurzfristig zur Verfügung stehen sollen. Hier gibt es eine besondere Verantwortung der Europäischen Union und des Europäischen Parlaments, nämlich für die Soldaten, die wir dorthin schicken – in den Kongo, nach Bosnien-Herzegowina und an andere Orte –, damit sie nicht unnötigen Risiken ausgesetzt werden. Unnötige Risiken entstehen für Soldaten immer dann, wenn die Ausrüstung oder die Führungsstruktur nicht adäquat ist. Deswegen machen wir in dieser Beziehung in diesem Bericht Vorschläge zur Beseitigung der Defizite, die wir in Bezug auf Aufklärung haben – wie ich sie gerade wieder im Kongo feststellen konnte.

In Bezug auf Telekommunikation und in Bezug auf Land- und Seetransporte hat die Europäische Union immer noch wesentliche Defizite. Vor allem brauchen wir aber eine wirksame demokratische Kontrolle. Zur demokratischen Kontrolle gehört aber Information und Konsultation. Hieran fehlt es oft noch. Wir werden nicht ausreichend informiert über das, was auf Ratsseite geplant wird. In der Interinstitutionellen Vereinbarung steht, dass wir konsultiert werden sollen und das findet nur außerordentlich zögerlich statt.

Fragen der Sicherheit, Fragen von Krieg und Frieden sind Fragen, die man nicht den Generälen überlassen darf. Man darf sie aber auch nicht der Exekutive allein überlassen, sondern hier brauchen wir die demokratische Kontrolle durch Parlamente, die vom Volk gewählt sind, also die nationalen Parlamente und das Europäische Parlament.