Besteht ein Europäischer Binnenmarkt für Sicherheit und Verteidigung?
Verteidigungshaushalte
Wenn man die Verteidigungshaushalte der 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union addiert, stellt man fest, dass in Europa jedes Jahr etwa 200 Milliarden Euro für Verteidigung ausgegeben werden. Das ist beim derzeitigen Wechselkurs unserer Währung fast die Hälfte der Ausgaben der Vereinigten Staaten, aber die Effizienz liegt nach der Einschätzung von Experten zwischen zehn und 20 Prozent.
Einer der Gründe dafür ist die Tatsache, daß ein gemeinsamer Markt im Bereich von Sicherheit und Verteidigung erst im Entstehen begriffen ist. Der Vertrag enthält eine Ausnahmebestimmung von den Regeln des Europäischen Binnenmarktes für den Bereich der Verteidigung für den Fall, daß wesentliche Sicherheitsinteressen berührt werden (Art.296).
Jahrzehntelang haben die Mitgliedsländer diese Bestimmung sehr extensiv angewendet. DieRichtlinien der Europäischen Union zur Europäischen Ausschreibungund zum innergemeinschaftlichen Austausch von Rüstungsgütern, die von Parlament und Rat verabschiedet wurden, sind erste Schritte zur Verwirklichung des Binnenmarktes in diesem Bereich.
Ein weiterer Grund für die Aufsplitterung dieser Märkte ist die Tendenz, das Rad nicht einmal sondern 27-mal zu erfinden. Bestehende Möglichkeiten der Zusammenarbeit werden nicht genutzt. Und auch da, wo sich Mitgliedsländer der Gemeinschaft zu gemeinsamen Projekten zusammengefunden haben, sind die gemeinsamen Strukturen für Planung und Umsetzung noch nicht ausreichend entwickelt.
Helikopter
Ein gutes Beispiel dafür sind unsere Defizite bei Helikoptern. Für den europäischen Einsatz im Tschad war es nicht möglich, vier dringend gebrauchte Hubschrauber in einem der Länder der Union zu finden. Schließlich wurden sie uns erfreulicherweise von Russland zur Verfügung gestellt.
Bei der Lieferung des neuen europäischen Hubschraubers NH 90 treten immer wieder Verzögerungen auf. Das ist unter anderem dadurch bedingt, dass im Bereich von Sicherheit und Verteidigung keine gemeinsame Zulassung gibt und dass diese Fluggeräte in jedem Mitgliedsland separat zugelassen werden müssen. Allein bei diesem Projekt entstehen dadurch zusätzliche Kosten in der Höhe von vier Milliarden Euro. Hier gilt es gemeinschaftliche Zulassungsverfahren zu entwickeln, wie sie im zivilen Bereich bereits bestehen.
Forschung, Binnenmarkt, Verteidigungsagentur
Bei dem anstehenden Sparprogramm im Verteidigungshaushalt müssen diese Potenziale genutzt werden. Dazu gehört mehr gemeinsame Forschung und Entwicklung, die zunehmende Anwendung der Regeln des Binnenmarktes auch in diesem Bereich und insbesondere die Stärkung der Europäischen Verteidigungsagentur.
Aufklärung, Navigation, Telekommunikation, Transport
Möglichkeiten für mehr Zusammenarbeit bestehen auch bei der satellitengestützten Aufklärung, Navigation und Telekommunikation, wie auch beim Luft- und Seetransport.
In den vergangenen Jahren ist es gelungen, Mittel für Sicherheitsforschung, wie auch für Satellitennavigation und Beobachtung im Haushalt der Europäischen Union zu verankern. Für Kopernikus, Galileo und das Programm für Sicherheitsforschung sind das mehr als fünf Milliarden auf sieben Jahre.
Wichtig ist, daß das Europäische Parlament gefordert hat, daß das Satellitennavigationssystem Galileo auch für die Einsätze von Streitkräften im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zur Verfügung stehen soll. Damit wurde deutlich, daß die Sicherheitsstrategie der Europäischen Union, deren breiter Ansatz von der Bekämpfung von Naturkatastrophen und humanitären Missionen bis zu militärischen Einsätzen reicht, ein solides politisches Fundament hat.
Weitere Möglichkeiten der Zusammenarbeit bestehen bei der nächsten Generation der satellitengestützten Aufklärung. Während der Krise in Georgien standen die Informationen unserer nationalen Satellitenbeobachtungsprogramme auf der europäischen Ebene nur bedingt zur Verfügung. Auch bei der Überwachung der Einhaltung des Nichtverbreitungsvertrages und bei der Beobachtung des Weltraumes sind gemeinsam finanzierte europäische Programme unbedingt erforderlich.
Dieses insbesondere auch aus dem Grunde, dass die Defizite bei Transport, Logistik und Aufklärung bei zivilen und militärischen Einsätzen oft dieselben sind. Bei der desolaten Situation der öffentlichen Haushalte wäre es verantwortungslos, die hier bestehenden Einsparungsmöglichkeiten nicht zu nutzen.