Rede des Europaabgeordneten Dr. Karl von Wogau zu den Feierlichkeiten "Zehn Jahre Euro" im Europäischen Parlament, 13. Januar 2009
Anlässlich der Feierlichkeiten zur Einführung der Europäischen Währung von zehn Jahren im Europäischen Parlament hielt der Europaabgeordnete und damalige Vorsitzende des Ausschusses für Wirtschaft und Währung, Karl von Wogau, folgende Rede:„Als der Euro am ersten Januar 1999 das Licht der Welt erblickte, wurde er von vielen mit großer Skepsis betrachtet. Gerhard Schröder sprach damals von einer schwächelnden Frühgeburt. Der große Guru der damaligen Finanzwelt, Alan Greenspan, sagte der neuen Währung ein kurzes und leidvolles Leben voraus.
Bisher sind diese Voraussagen nicht eingetreten. In der heutigen Finanzkrise ist es die Schwäche des Dollars, die Anlass zu Befürchtungen gibt, und Kommentatoren bezeichnen den Euro als einen „Felsen in der Brandung“ und als „Anker der Stabilität“.
Heute sprechen wir darüber, welchen Beitrag unsere Institutionen dazu geleistet haben.
Der Tag des Europäischen Parlamentes für den Euro war der zweite Mai 1998, ein Samstag. Es war das einzige Mal in den vergangenen dreißig Jahren, dass eine Plenarsitzung des Parlamentes an einem Samstag stattfand.
An diesem Tage sollten die entscheidenden Beschlüsse über die Europäische Währung stattfinden. Da man Turbulenzen an den Börsen befürchtete, hatte man einen Tag gewählt, an dem diese geschlossen waren.
Für den Rat sprach der damalige Finanzminister Großbritanniens, Gordon Brown. Ich hatte als damaliger Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft und Währung die Aufgabe, die Mehrheitsmeinung des Parlaments vorzutragen.
Die Entscheidung des Parlamentes war bis zur letzten Minute umstritten. Im Ausschuss war mein Bericht mit nur 27 gegen 25 Stimmen bei drei Enthaltungen angenommen wurden.
Umstritten war, ob Belgien und Italien anbetrachts ihrer hohen Gesamtverschuldung den Stabilitätskriterien genügten. Umstritten war aber vor allem die von mir vorgeschlagene Forderung nach einer strikten Anwendung des Stabilitätspaktes.
Noch kurz vor der Abstimmung erklärte mir der damalige Sprecher der sozialistischen Fraktion, Alan Donnelly, seine Fraktion werde gegen den Bericht stimmen, wenn ich nicht dazu bereit sei, das Wort „strikt“ zu streichen. Schließlich erhielt der Bericht eine breite Mehrheit, obwohl er diese klare Festlegung enthielt
Anschließend begann das Mittagessen der Staats und Regierungschefs. Bei diesem sollte die Personalfrage entschieden werden – Duisenberg oder Trichet. Bei der anschließend vorgesehenen Sitzung sollte dann über die noch offenen inhaltlichen Fragen gesprochen werden.
Dazu kam es dann aber nicht. Es wurde das wohl längste Mittagessen in der Geschichte der Europäischen Union. Nach Mitternacht war noch immer keine Lösung da. Präsident Chirac beharrte auf seinem Kandidaten.
Um zwei Uhr nachts erkundigte ich mich telefonisch nach dem Stand der Verhandlungen. Noch immer keine Lösung. Um vier Uhr morgens rief ich erneut an. Wer sich meldete war der Portier. Ich fragte nach dem Ergebnis – er wusste es nicht. Ich fragte, ob noch andere Personen da seien – aber anwesend waren nur noch zwei Angestellte einer Reinigungsfirma. Erst um sechs Uhr morgens hörte ich am Radio, dass man sich auf Duisenberg geeinigt habe. Mit dieser Entscheidung war der Weg zur Europäischen Währung unumkehrbar geworden.
Inzwischen sind sechzehn Mitgliedsländer der Union der Währungsunion beigetreten, die heute 329 Millionen Bürger umfasst – mehr als die Vereinigten Staaten von Amerika.
Was sind die Erfahrungen, die wir inzwischen mit dem Euro und dem Stabilitätspakt gemacht haben?
Zunächst muss man feststellen, dass die Einführung des Euro in einigen Bereichen genutzt wurde, um Preise zu erhöhen, beispielsweise im Bereich der Gastronomie.
In anderen Bereichen hat der europaweite Wettbewerb zu Preissenkungen geführt, wie beispielsweise bei Telefon und Informationstechnologie.
Insgesamt lag die Inflationsrate etwas über zwei Prozent. Das Ziel der Europäischen Zentralbank wurde damit leicht verfehlt. Insgesamt ist jedoch die Stabilität des Euro durchaus vergleichbar mit der früheren Stabilität der Deutschen Mark
Die eindeutige Stabilitätsorientierung unserer Währungspolitik hat zu einem starken Außenwert des Euro beigetragen. Bei allen Klagen über die Schwierigkeiten beim Export darf man nicht vergessen, dass dieses die Importpreise senkt und dadurch zur Kontrolle der Inflation beiträgt.
Die wichtigste Innovation im Umfeld des Euro war der Stabilitäts- und Wachstumspakt. Die zentrale Verordnung über die Überwachung des Stabilitätspaktes wurde im Verfahren der Zusammenarbeit mit dem Parlament erlassen. Dadurch war das Parlament am Zustandekommen dieses Gesetzgebungswerkes in allen Einzelheiten beteiligt. Die Grundidee des Stabilitätspaktes kann man schon in der Bibel finden. Man soll in guten Zeiten Geld zurücklegen, so dass für die schlechten Zeiten vorgesorgt ist
Heute muss man allerdings feststellen, dass die Regeln des Stabilitätspaktes oft sehr eigenwillig interpretiert werden. Man geht davon aus dass der Vertrag nichts anderes fordert als eine Nettoneuverschuldung von weniger als drei Prozent.
Das ist nicht der Inhalt des Vertrages. Dieser fordert vielmehr nahezu ausgeglichene Haushalte beziehungsweise Überschüsse, um die Gesamtverschuldung unserer Länder zu vermindern.
Wenn heute Mitgliedsländer der Union noch immer eine Gesamtverschuldung von mehr als hundert Prozent ihres Bruttosozialproduktes haben, sehen wir, wie weit wir von diesem Ziel entfernt sind.
In der heutigen Krise der Finanzmärkte ist der Euro ein Hort der Stabilität. Unsere Zentralbank hat nicht die Politik des leichten Geldes betrieben, die in den Vereinigten Staaten wesentlich zum Entstehen der heutigen Probleme beigetragen hat.
Die Hypothekenkredite, die der Anfang der Krise gewesen sind, kamen nicht aus Europa
Wir haben die strengen Regeln von Basel Zwei eingeführt, die in den Vereinigten Staaten erfunden, aber dann nicht angewendet wurden.
Zusätzlich sollten wir jetzt auch den Schritt tun zu einer gemeinsamen Europäischen Bankenaufsicht.
Geldwertstabilität ist die Grundlage einer sozialen Politik, denn Inflation trifft nicht die Reichen sondern die Armen. Eine kalte Enteignung derjenigen, die von einem kleinen Einkommen leben müssen.
Darum sind die Regeln des Stabilitäts- und Wachstumspaktes einer der Grundpfeiler einer Europäischen Sozialen Marktwirtschaft.
In der derzeitigen Krise dürfen wir auch nicht der Versuchung erliegen, unsere Probleme von heute auf dem Rücken der kommenden Generationen zu lösen.
Zukunft des Euro
Für die Zukunft des Euro sind nach meiner Überzeugung drei Dinge von ausschlaggebender Bedeutung:
Die konsequente Einhaltung des Stabilitäts- und Wachstumspaktes. Darum ist es notwendig, die Unabhängigkeit und die Stabilitätsorientierung der Europäischen Zentralbank gegen alle Angriffe zu verteidigen
Die Einbindung der Währungspolitik in eine Wirtschaftspolitik, die der Sozialen Marktwirtschaft verpflichtet bleibt.
Die Weiterentwicklung der Währungsunion zu einer Politischen Union. Ich bin davon überzeugt, dass eine Währungsunion langfristig nicht bestehen kann, wenn sie nicht in eine Politische Union eingebunden ist und dazu gehört notwendigerweise eine gemeinsame Außen- und Verteidigungspolitik.
Gerade darum ist es notwendig, den Weg, der mit dem Vertrag von Lissabon und mit den Beschlüssen von Helsinki begonnen wurde, konsequent weiterzugehen und die Europäische Union weiterzuentwickeln zu einer Sicherheits- und Verteidigungsunion.“
Das Bild zeigt von links nach rechts: Jacques Santer, Präsident der Europäischen Kommission, Karl von Wogau, Vorsitzender des Ausschusses für Wirtschaft, Währung und Industriepolitik sowie Berichterstatter des Europäischen Parlamentes, José Maria Gil Robles y Gil Delgado, Präsident des Europäischen Parlamentes und Gordon Brown, amtierender Präsident des Rates der Wirtschafts- und Finanzminister. Der Präsident des Europäischen Parlamentes dankt Karl von Wogau für seine Arbeit bei der Einführung des Euro.
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