Rede von Karl von Wogau auf der Berliner Sicherheitskonferenz
10. November 2008
Sehr geehrte Damen und Herren,
auch ich begrüße Sie herzlich zu der Berliner Sicherheitskonferenz, die in diesem Jahr zum siebten Mal stattfindet.
Diese Sicherheitskonferenz hat sich mittlerweile zu einer Institution entwickelt. Dazu möchte ich Uwe Proll, den Herausgeber des Behördenspiegels, beglückwünschen. Er hat an diesem Projekt festgehalten, obwohl das nicht immer einfach gewesen ist. Danken will ich auch meinem Freund Hartmut Bühl, dem ehemaligen Sicherheitsberater von Helmut Kohl, der mich davon überzeugt hat, bei diesem Projekt mitzumachen.
Wie in den vergangenen Jahren soll die Konferenz Gelegenheit sein, den gegenwärtigen Stand der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu analysieren und Konzepte für ihre Weiterentwicklung zu besprechen. Was die Berliner Sicherheitskonferenz von anderen Veranstaltungen dieser Art unterscheidet, ist ihr ganz eindeutig europäisches Profil. Während sich andere Sicherheitspolitische Tagungen in erster Linie mit der Nato und dem transatlantischen Verhältnis befassen, liegt der Schwerpunkt unserer Konferenz bei der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union. Darum hat sich unsere Konferenz in den vergangenen sieben Jahren europaweit zu dem Jahresereignis zum Thema der Europäischen Verteidigungspolitik entwickelt.
Dazu kommt, daß ich im vergangenen Jahr die Initiative ergriffen habe, eine Europäische Stiftung zu diesem Thema einzurichten, die European Security Foundation. Diese ist derzeit noch ein eingetragener Verein belgischen Rechts mit Sitz in Brüssel. Dem Kuratorium gehören Mitglieder der Kommission, des Rates und der Parlamente an, wie unter anderen Jacques Barrot, Hans Gert Pöttering, Christian Schmidt und Guy Tessier, der Vorsitzende des Verteidigungsausschusses der französischen Nationalversammlung. In diesem Jahr hat die ESF einen Beitrag geleistet zu der Diskussion über die Europäische Sicherheitsstrategie. Im kommenden Jahr werden wir mit der Umsetzung dieser Strategie befassen und einen Vorschlag für ein Europäisches Weißbuch vorlegen.
Georgien
Seit ihrem Bestehen wurden im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik 22 Einsätze durchgeführt. Darunter waren sechs Einsätze von Streitkräften, die übrigen hatten zivilen Charakter Im folgenden will ich über die wichtigsten derzeit laufenden Einsätze berichten.
Der Krieg im Südkaukasus hat erneut gezeigt, dass Frieden, Sicherheit und Stabilität in Europa und in unserer geographischen Nachbarschaft immer stärker davon abhängen, ob Europa in der Lage ist, gemeinsam zu handeln. Nur durch das schnelle Handeln der europäischen Union mit ihrem amtierenden Präsidenten Sarkozy konnte ein Waffenstillstandsabkommen geschlossen und die Kämpfe beendet werden. Es war die Europäische Union, die von Beginn an als Krisenmanager im Mittelpunkt der Verhandlungen um eine Beendigung der Kampfhandlungen stand.
Allerdings wurden auch erneut Defizite der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sichtbar. Während das Vorgehen auf russischer Seite sorgfältig geplant und vorbereitet war, wirkte die Reaktion der westlichen Demokratien zeitweise improvisiert. Auch verfügten wir nicht immer über die Instrumente, die notwendig gewesen wären, um eine genaue Übersicht über die Verhältnisse vor Ort zu erhalten.
Schon im Juli hat sich abgezeichnet, dass eine Krise in Georgien bevorstand. Dass Russland darauf vorbereitet war, zeigt sich in der Tatsache, dass es innerhalb von drei Tagen in der Lage war, seine Ziele zu erreichen. Europa und Amerika brauchten wesentlich länger, um angemessen zu reagieren. Wir müssen daher Europas Instrumente in den Bereichen der Analyse, der Aufklärung, aber auch hinsichtlich des Krisenmanagements weiter verbessern. Europa sollte daher keine Zeit verlieren und seine gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik, die vor zehn Jahren ins Leben gerufen wurde, in Richtung auf eine Europäische Sicherheits- und Verteidigungsunion weiterentwickeln.
Russland
Der Konflikt im südlichen Kaukasus wirft vor allem auch die Frage auf, wie wir unser zukünftiges Verhältnis zu Russland gestalten sollten. Es war sicher nicht klug von der georgischen Seite, sich durch die Mörserangriffe auf georgische Dörfer zu einem militärischen Vorgehen gegen Zchinvali provozieren zu lassen. Dennoch bleibt das militärische Vorgehen Russlands unverhältnismäßig und völkerrechtswidrig. Das gilt auch für die Anerkennung von Südossetien und Abchasien als unabhängige Staaten.
Dieses Vorgehen hat die Beziehungen zwischen Russland und dem Westen in eine Krise gestürzt und in Europa zu großen Sorgen geführt. Beispielsweise hat Toomas Ilves, der Präsident von Estland, die Forderung gestellt, die Planungen der Nato zum Schutz der Baltischen Staaten zu konkretisieren. Ich kann die Sorgen gerade in den drei baltischen Staaten verstehen. Insbesondere dann, wenn sich Russland zur Rechtfertigung seiner Handlungsweise in Georgien auf den Schutz russischer Minderheiten beruft. Hier ist Solidarität mit unseren Partnern gefragt und deshalb müssen hier NATO und Europäische Union reagieren, um auch durch Taten deutlich zu machen, dass wir an ihrer Seite stehen.
Bei dem Angriff auf Georgien wurde deutlich, dass auf der russischen Seite sehr konkrete Planungen bestanden, während dies auf unserer Seite nicht der Fall gewesen ist. Darum ist die Forderung unserer baltischen Freunde gerechtfertigt und ich trete dafür ein, die Planungen für den Schutz der Baltischen Staaten zu konkretisieren.
Andererseits ist es aber gerade in Zeiten der Krise von entscheidender Bedeutung, die Kommunikationskanäle offen zu halten. Es war nach meiner Auffassung ein Fehler, in dieser Situation den NATO-Russlandrat einzufrieren. Es wäre besser gewesen, Russland in diesem Gremium mit der Haltung der westlichen Demokratien zu konfrontieren. Darum bin ich der Meinung, dass der NATO-Russlandrat sobald wie möglich reaktiviert werden sollte.
Aufgrund seiner geo-politischen Position, seines militärischen und politischen Gewichts, seines Energiereichtums und seines wirtschaftlichen Potentials ist Russland von strategischer Bedeutung für Europa, wie auch Europa für Russland von strategischer Bedeutung ist. Zu unseren ganz konkreten europäischen Sicherheitsinteressen gehört, dass in unserer unmittelbaren geographischen Nachbarschaft nicht das Recht des Stärkeren gilt. Frieden und Stabilität in unserem Umfeld können nur gesichert werden, wenn internationales Recht respektiert und Konflikte nicht mit Waffen gelöst werden. Wir haben ein Interesse daran, dass Russland auf verantwortungsvolle und konstruktive Weise zur Lösung von Konflikten beiträgt. Die Erfahrungen der letzten Monate haben gezeigt, dass wir Russlands Politik am besten beeinflussen können, wenn wir als Europäer geschlossen auftreten.
Der Beobachtungseinsatz der Europäischen Union in Georgien stellt dabei einen wichtigen Baustein dar. Europa ist in der Region präsent und übernimmt Verantwortung.
Dabei muss es vorrangig um den Schutz der Menschen gehen, die durch die Kampfhandlungen betroffen wurden oder im Zuge des Konfliktes aus ihrer Heimat vertrieben wurden. Nach dem Ende der Kampfhandlungen wurden die von Georgiern bewohnten Dörfer um Zchinvali in Südossetien systematisch zerstört. Die Menschen wurden vertrieben. Die von Georgiern bewohnten Dörfer im Akhalgori-Tal im Osten Südossetiens waren den ossetischen Milizen schutzlos ausgeliefert, seit die russische Armee dieses Gebiet kontrollierte. Auch von dort sind viele Menschen geflohen. Es stellt sich die Frage, ob die georgische Minderheit in diesem Gebiet unter den jetzigen Bedingungen ausreichend geschützt ist und wie dieser Schutz verbessert werden kann. Der Schutz der georgischen Minderheit in Südossetien ist nun eine der dringlichsten Aufgaben. Den vertriebenen Menschen muss die Rückkehr in ihre Dörfer ermöglicht werden. Dies muss eines der Ziele der Genfer Gespräche sein.
Gleichzeitig kommt es nun darauf an, dass die Europäische Union Georgien weiter beim Wiederaufbau der zerstörten Infrastruktur hilft. Ziel sollte es sein, den Georgiern zu zeigen, dass sie nicht allein gelassen werden. Dazu gehört ein Visa-Abkommen zwischen Georgien und der Europäischen Union.
Energie
Wir werden auch beraten müssen, welche energiepolitischen Konsequenzen sich aus dem Krieg im Südkaukasus ergeben. Georgien spielt als wichtiges Transitland für Öl und Gas aus der Region des Kaspischen Meeres eine bedeutende Rolle für die Energieversorgung der Europäischen Union. Diese Bedeutung wird in dem Maße weiter wachsen, in dem sich andere Energielieferanten als unzuverlässig erweisen.
Balkan
Es ist nun genau zehn Jahre her, dass beim französisch-britischen Gipfel in Saint Malo der Startschuss für die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik fiel. Es waren vor allem die Erfahrungen der Kriege auf dem westlichen Balkan, die damals die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union dazu veranlassten, die Handlungsfähigkeit Europas im Bereich von Sicherheit und Verteidigung zu stärken. Auch heute nach zehn Jahren, steht die Sicherung von Frieden und Stabilität auf dem Balkan ganz oben auf der Prioritätenliste unserer gemeinsamen Außen- und Sicherheitspolitik.
Bosnien
Die Lage in Bosnien-Herzegowina, wo die Europäische Union 2004 die Verantwortung von der Nato übernahm, ist noch nicht so, dass ein vollständiger Abzug der Truppen derzeit in Betracht käme. Die innenpolitische Lage ist noch immer von Spannungen gekennzeichnet. Dort herrscht jetzt Frieden, aber viele betrachten den Frieden lediglich als eine Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln. Dieser Staat ist noch lange nicht konsolidiert.
Kosovo
Die größte Herausforderung auf dem Balkan stellt jedoch das Kosovo dar. Mit der zivilen Rechtsstaatsmission EULEX Kosovo hat die Europäische Union am 16. Februar 2008 den größten zivilen Einsatz in der Geschichte des Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gestartet. Das zentrale Ziel des Einsatzes ist es, die Regierung des Kosovo beim Aufbau eines funktionierenden Rechtsstaates und insbesondere beim Aufbau von Polizei, Zoll und Justizwesen zu unterstützen. Mit der Polizei- und Justizmission EULEX schickt die Europäische Union bis zu 2000 europäische Beamte in das Kosovo. Zöllner und Polizisten, Staatsanwälte und Richter aus Europa sollen dazu beitragen, dass Justiz und Polizei in Europas jüngstem Staat an europäisches Niveau herangeführt werden. Sie sollen - wie auch der Zoll und die Verwaltung - nicht nur funktionieren, sondern rechtsstaatlichen Erwartungen entsprechen.
Das Kosovo in einen Rechtsstaat zu überführen, ist keine leichte Aufgabe für die europäischen Beamten der EULEX-Mission. Ich war selbst im Oktober in Prizren und Pristina und habe mir vor Ort ein Bild von der Lage gemacht. Dabei konnte unsere Delegation feststellen, daß der Aufbau der kosovarischen Polizei gute Fortschritte macht. Beim Aufbau von Gerichten und Staatsanwaltschaften, die rechtsstaatlichen Grundsätzen gerecht werden, ist aber noch viel zu tun. Das gilt insbesondere für den Bereich der Kriegsverbrechen und der organisierten Kriminalität. Die Situation der Minderheiten hat sich stabilisiert, aber nach wie vor ist es notwendig, die serbischen Klöster durch die Streitkräfte der Nato zu schützen.
Neben der Herstellung von Sicherheit ist die Verbesserung des Schulsystems die wichtigste Aufgabe, da über die Hälfte der knapp zwei Millionen Einwohner des Kosovo unter 25 Jahre alt sind. Die Nato ist im Kosovo weiter mit rund 16.000 Soldaten präsent. Zusammen mit Afghanistan ist das Kosovo damit einer der beiden Orte, wo eine zwingende Notwendigkeit besteht, dass NATO und Europäische Union engstes zusammenarbeiten.
Nato
Sowohl in Afghanistan als auch im Kosovo wird die Zusammenarbeit zwischen EU und Nato dadurch erschwert, dass die Türkei die Unterzeichnung der Technischen Abkommen zwischen der EU und NATO für Kosovo und für Afghanistan blockiert. Hintergrund dieses Verhaltens der Türkei ist der Konflikt um Nordzypern. Die dadurch entstehenden Schwierigkeiten in der Abstimmung zwischen EU und NATO führen zu unnötigen, vermeidbaren Risiken. Wir im Europäischen Parlament haben wiederholt darauf hingewiesen, dass es nicht sein kann, dass die Türkei ihre Zypernpolitik auf dem Rücken der im Kosovo und Afghanistan stationierten Soldaten und Polizisten austrägt.
Afghanistan
Gerade in Afghanistan, wo die Lage sich immer mehr zuspitzt, können wir uns solche Zusatzbelastungen nicht leisten. Dort ist die Europäische Union mit einem zivilen Einsatz präsent. Der im Juni 2007 gestartete Polizeieinsatz konzentriert sich vor allem auf die Ausbildung afghanischer Polizeibeamter und baut dabei auf die von Deutschland begonnene Arbeit in diesem Bereich auf. Auch in Afrika und im Nahen Osten ist die Europäische Union mit Einsätzen im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik präsent.
Naher Osten
Sowohl in den Palästinensischen Autonomiegebieten als auch im Irak unterstützt die Europäische Union im Rahmen ziviler ESVP-Einsätze den Aufbau und die Ausbildung von Polizeikräften.
Afrika
In der Demokratischen Republik Kongo, wo die Europäische Union 2006 die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen erfolgreich abgesichert hat, bleibt die Sicherheitslage weiterhin besorgniserregend. Die Europäische Union ist dort weiter präsent, unter anderem durch die Ausbildung von Polizeikräften in der Hauptstadt Kinshasa. Auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit engagiert sich die Europäische Union nach wie vor stark in der Region. Nach dem erfolgreichen Einsatz der Europäischen Union in Kinshasa im Jahr 2006 sind vor wenigen Wochen wieder Kämpfe in der Region Nord-Kivu ausgebrochen. Dabei wurden über 200.000 Menschen aus ihren Dörfern vertrieben. Eine solche Situation ist unannehmbar und könnte die ganze Region der großen Seen destabilisieren. Derzeit bemüht sich die internationale Gemeinschaft, durch intensive diplomatische Bemühungen die Situation in den Griff zu bekommen. Sie bleibt aber nach wie vor explosiv. Die so genannten Battlegroups der Europäischen Union wurden für Situationen genau dieser Art geschaffen. Wir sollten nicht ausschließen, dass sie gegebenenfalls eingesetzt werden, wenn die Situation sich verschlechtert. Keinesfalls darf die internationale Gemeinschaft zulassen, daß von der Region an den großen Seen erneut Schockwellen ausgehen, die das ganze Afrika südlich der Sahara destabilisieren.
Tschad
Streitkräfte unter Führung der Europäischen Union haben im Tschad Verantwortung für den Schutz von Vertriebenen und Flüchtlingen übernommen. Ich war selbst dort und habe mit den Menschen gesprochen. Im Osten des Landes, entlang der Grenze zur Krisenregion Darfur leben etwa 400.000 Flüchtlinge und Vertriebene aus Darfur und dem Tschad in provisorischen Lagern. Die Menschen wünschen sich vor allem Frieden, um in ihre Dörfer zurückkehren zu können. Der Einsatz der Europäischen Union, der im September seine volle Einsatzbereitschaft erreichte, besteht heute aus ca. 3400 Soldaten aus 25 Ländern. Die so genannte "Überbrückungsmission" soll 2009 durch andere Verbände abgelöst werden. Dies wird im Augenblick bei den Vereinten Nationen beraten.
Das Mandat des EU-Einsatzes im Tschad läuft am 15. März 2009 aus. Danach soll die Aufgabe der Friedenssicherung von den Vereinten Nationen wahrgenommen werden. Die Schwierigkeiten bei der Aufstellung des Einsatzkontingents, der Suche nach Soldaten und Ausrüstung für den Einsatz im Tschad ist vielen noch in Erinnerung. Zuletzt wurde der gesamte Einsatz in Frage gestellt, weil einige Hubschrauber fehlten. Inzwischen hat sich Russland bereit erklärt, mit Hubschraubern auszuhelfen. Das ist sehr erfreulich. Anbetrachts der Tatsache, daß die 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union insgesamt 200 Milliarden Euro für Verteidigung ausgeben, muß man sich doch fragen, warum wir eigentlich auf diese Hilfe angewiesen sind.
Prioritäten setzen
Diese Schwierigkeiten haben erneut gezeigt, dass die zivilen und militärischen Kapazitäten, die der Europäischen Union zur Verfügung stehen, stark beschränkt sind. Es kommt daher, darauf an, dass Europa sich zum einen klare Prioritäten setzt, und zum anderen seine Handlungsfähigkeit verbessert.
Was wir brauchen
Die Europäische Union braucht eine starke und wirksame Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik, damit sie ihre Interessen in der Welt vertreten, die Sicherheit ihrer Bürger schützen und die Menschenrechte verteidigen kann. Bei dieser Politik müssen sowohl zivile als auch militärische Mittel und Kapazitäten zum Einsatz kommen, und eine enge und nahtlose Zusammenarbeit zwischen allen Beteiligten ist unerlässlich. Außerdem müssen Transparenz und Kosteneffizienz gewährleistet sein, damit die europäische Verteidigung Rückhalt in der Öffentlichkeit findet.
Sicherheitsinteressen der Union
Zur Stärkung dieser umfassenden Außen- und Verteidigungspolitik müssen zunächst die Sicherheitsinteressen der Union definiert werden. Bislang bestimmen die Mitgliedstaaten ihre Sicherheitsinteressen auf rein nationaler Basis. Der Begriff "Europäisches Interesse" hingegen ist politisch nach wie vor tabu. Dieses Tabu jedoch ist nicht länger akzeptabel. In Anbetracht der Herausforderungen der Globalisierung mit ihren länderübergreifenden Bedrohungen ist das Konzept rein nationaler Sicherheitsinteressen in Europa einfach nicht mehr zeitgemäß.
Es ist daher sowohl möglich als auch notwendig, die gemeinsamen Sicherheitsinteressen der Union festzulegen. Hierzu zählen unter anderem die Sicherheit in unserer Nachbarschaft, Schutz der Außengrenzen und kritischer Infrastrukturen, Sicherung der Energieversorgung und der Handelswege. Nur wenn wir eine klare Vorstellung von unseren gemeinsamen Interessen haben, können wir unsere gemeinsame Politik kohärenter und effektiver gestalten. Es ist folglich höchste Zeit für eine offene Debatte darüber, welches die gemeinsamen Sicherheitsinteressen der Union sind. Ich denke, dass wir im Laufe dieser Konferenz auf diese Frage zurückkommen werden.
ESS, Weißbuch
Die Europäische Sicherheitsstrategie von 2003 analysiert die Bedrohungen, denen die Europäische Union gegenübersteht und legt strategische Zielsetzungen fest. Im Dezember 2007 beschloss der Europäische Rat die Überprüfung der Sicherheitsstrategie. Wir im Europäischen Parlament haben diese Entscheidung begrüßt und fordern den Europäischen Rat auf, eine breite und offene Debatte über eine Überarbeitung der Sicherheitsstrategie in Gang zu setzen. Obwohl viele Elemente der Strategie nach wie vor Gültigkeit haben, gibt es durchaus einige, die eventuell angepasst werden sollten. Das betrifft insbesondere die Beziehungen der Europäischen Union mit Russland und ihr Engagement in Afrika, aber auch allgemeine Aspekte wie die Verbindung zwischen innerer und äußerer Sicherheit.
Darüber hinaus schlägt das Europäische Parlament vor, die Sicherheitsstrategie regelmäßig aller fünf Jahre zu Beginn einer jeden neuen Wahlperiode auf den Prüfstand zu stellen. Jede neue Administration der Europäischen Union sollte zu Beginn der Legislaturperiode darstellen, wie sie die Sicherheit Europas zu garantieren gedenkt. Noch wichtiger als eine Neuformulierung der Sicherheitsstrategie ist jedoch derzeit die Frage, wie die bisherige Sicherheitsstrategie umgesetzt wird. Aus diesem Grunde fordert das Europäische Parlament die Erstellung eines Weißbuchs zur europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik.
Fähigkeiten
Die Europäische Union braucht die Mittel zur Umsetzung ihrer Politiken. Sie muss sowohl über zivile als auch über militärische Kapazitäten verfügen, um die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu stärken und ihren internationalen Verpflichtungen nachzukommen.
Battle Groups, Eurocorps, Führungsstäbe
Im militärischen Bereich hat die Aufstellung von Gefechtsverbänden (Battle Groups) entscheidend zur Entwicklung der europäischen Fähigkeiten beigetragen. Die Union braucht jedoch Truppen, die für einen längeren Zeitraum verfügbar sind. Das Europäische Parlament hat daher vorgeschlagen, das Eurocorps der Europäischen Union dauerhaft zur Verfügung zu stellen. Die bisherigen Erfahrungen aus Krisen zeigen: Je früher man in der Lage ist zu reagieren, desto geringer ist der zu leistende Aufwand und desto größer sind die Aussichten auf ein erfolgreiches Krisenmanagement. Deshalb braucht die Union auch eigene Einsatzführungsstäbe. Nur so kann die Europäische Union die Entwicklung von Krisen und Konflikten kontinuierlich beobachten, vorausschauend planen sowie Einsätze effektiv vorbereiten und durchführen.
Synergien
Die Europäische Sicherheitsstrategie geht von einem sehr breiten Sicherheitsbegriff aus, der von der Bewältigung von Naturkatastrophen bis zum Einsatz von Streitkräften in Konfliktsituationen reicht. Dabei zeigen die Erfahrungen, dass der Kapazitätsbedarf unter technologischen Gesichtspunkten sehr ähnlich oder gar identisch ist. Das bietet neue Möglichkeiten zur Nutzung von Synergien und zur Verbesserung der Interoperabilität zwischen Streitkräften und Sicherheitskräften. Die Union sollte daher ihre Anstrengungen auf die Kapazitäten konzentrieren, die sowohl für Verteidigungs- als auch für Sicherheitszwecke eingesetzt werden können. Besonders wichtig in diesem Zusammenhang sind die satellitengestützte Aufklärung, Systeme für Beobachtung und Frühwarnung, unbemannte Flugkörper, Hubschrauber und Geräte der Telekommunikation sowie der Luft- und Seeverkehr. Gleichermaßen bedarf es einer gemeinsamen technischen Norm für geschützte Telekommunikationsverbindungen und der entsprechenden Mittel für den Schutz kritischer Infrastruktureinrichtungen.
Sicherheitsforschung
Notwendig ist auch, dass die Gemeinschaftsmittel für die Sicherheitsforschung aufgestockt und gemeinsame Forschungsprogramme zwischen Kommission und Europäischer Verteidigungsagentur gefördert werden.
Gemeinsamer Markt
Eine herausgehobene Bedeutung kommt der Schaffung eines gemeinsamen Marktes im Bereich von Verteidigung und Sicherheit zu. Die von der Kommission dazu vorgelegten Legislativvorschläge zum öffentlichen Beschaffungswesen und zur innergemeinschaftlichen Verbringung werden derzeit im Europäischen Parlament beraten und können hoffentlich noch vor Ende der Legislaturperiode in Kraft treten. Es ist wichtig, dass unserer Soldaten und Zivilisten bei gemeinsamen europäischen Einsätzen die bestmögliche Ausrüstung zur Verfügung haben. Die Schaffung eines Marktes für Verteidigungsgüter auf europäischer Ebene ist für das Erreichen dieses Zieles wichtig und wird außerdem die Transparenz bei öffentlichen Aufträgen im Bereich Verteidigung in der Europäischen Union erhöhen, die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Verteidigungsindustrie steigern und dazu führen, dass das Geld der Steuerzahler in den Bereichen Sicherheit und Verteidigung wirkungsvoller eingesetzt wird. Der Richtlinienvorschlag trägt den Besonderheiten des öffentlichen Auftragswesens im Bereich Verteidigung Rechnung und enthält daher besondere Regelungen zur Informationssicherheit und zur Versorgungssicherheit. Die Ausnahmevorschriften des EU-Vertrages für den Bereich der Verteidigung werden auf außergewöhnliche, genau festgelegte Fälle beschränkt. Dies wird die Rechtssicherheit der öffentlichen Auftraggeber verbessern. Außerdem wird die Koordinierung der einzelstaatlichen Beschaffungsvorschriften den Unternehmen helfen, die Verwaltungskosten zu verringern.
Strategische Ressourcen, Weltraum
Wichtige strategische Ressourcen, etwa im Bereich weltraumgestützter Infrastrukturen, sollten europäisiert werden. Das Europäische Parlament hat im Juli mit großer Mehrheit gefordert, das europäische Satellitennavigationssystem Galileo solle auch für Operationen im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zur Verfügung stehen. Bei der Abstimmung über diesen Punkt stimmten 502 Abgeordnete dafür, 83 dagegen. Die Abstimmung macht deutlich, dass sich die Mehrheitsmeinung im Europäischen Parlament in diesem Punkt geändert hat. In früheren Abstimmungen hatte das Parlament eine derartige Verwendung abgelehnt. Die jetzige Position des Europäischen Parlamentes ist auch deshalb von Bedeutung, weil Galileo aus dem europäischen Haushalt finanziert wird. Das Parlament fordert in seiner Resolution, mit dem Geld der Steuerzahler effizienter umzugehen und diverse parallel bestehende nationale Systeme, etwa in den Bereichen Satellitenaufklärung oder satellitengestützte geschützte Telekommunikation, durch gemeinsame europäische Systeme zu ersetzen. Diese gemeinsamen Systeme sollten weitgehend aus dem Haushalt der Europäischen Union finanziert werden. Schon heute sind über fünf Milliarden Euro aus dem Haushalt der Europäischen Union für die Jahre 2007 bis 2013 für Projekte aus dem Bereich Weltraum und Sicherheit vorgesehen, davon 1,4 Milliarden für Sicherheitsforschung, 3,4 Milliarden für Galileo und 1 Milliarde für GMES (Kopernikus). Für die Handlungsfähigkeit Europas ist es wichtig, in diesem Bereich gemeinsam zu investieren. Weltraumgestützte Systeme etwa für Navigation, Observation und Telekommunikation sind für eine effektive europäische Sicherheitspolitik unerlässlich.
Strukturreformen, Sicherheitskultur
Es sind Strukturreformen in vielen Bereichen notwendig, um die Handlungsfähigkeit Europas im Bereich der Außen- und Sicherheitspolitik zu stärken. Dazu gehört auch die Entwicklung einer gemeinsamen Europäischen Sicherheitskultur.
Parlamentarische Kontrolle
Zu dieser Kultur muss auch eine effektive und transparente parlamentarische Kontrolle der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gehören. Die Menschen wollen wissen, wer welche Entscheidung trifft und wer wofür die Verantwortung trägt. Und je mehr Entscheidungen auf europäischer Ebene getroffen werden, je mehr Einsätze unter dem Kommando der Europäischen Union stattfinden, desto mehr Bedeutung kommt der Frage nach der parlamentarischen Kontrolle zu. In diesem Bereich arbeitet das Europäische Parlament mit den Parlamenten der Mitgliedsstaaten eng zusammen. Das Europäische Parlament hat seit der Einrichtung seines Unterausschusses für Sicherheit und Verteidigung 2004 seine dahingehenden Kapazitäten stark ausgebaut. Neben regelmäßigen Aussprachen mit den Verantwortlichen der verschiedenen zivilen und militärischen Einsätze informieren sich die Mitglieder des Unterausschusses auch regelmäßig vor Ort über den Verlauf europäischer Einsätze, so wie vor kurzem im Kosovo, in Georgien und im Tschad.
Defizite bestehen jedoch noch bei einer der zentralen Rollen eines Parlamentes, nämlich Kontrolle des Haushaltes. Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik wird nur teilweise aus dem regulären Haushalt der Europäischen Union finanziert und unterliegt daher auch nur teilweise der parlamentarischen Kontrolle durch das Parlament. Während die zivilen Einsätze wie zum Beispiel jene im Kosovo und in Afghanistan vollständig aus dem regulären Haushalt der Europäischen Union finanziert werden und damit auch einer direkten Kontrolle durch das Europäische Parlament unterliegen, werden die militärischen Einsätze nach einem Umlageverfahren (ATHENA) durch die Mitgliedsstaaten finanziert. Dieses Verfahren ist ungerecht. Es belastet in erster Linie diejenigen zusätzlich, die einen Beitrag dadurch leisten, dass sie Truppen zur Verfügung stellen. Auch aus diesem Grunde und im Interesse einer effektiven parlamentarischen Kontrolle sollte die Finanzierung aller Einsätze im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den regulären Haushalt der Europäischen Union eingefügt werden.
Vertrauen in die Sicherheit
Bei der Berichterstattung über die Weltfinanzkrise in den letzten Wochen war immer wieder die Rede von der Bedeutung des gegenseitigen "Vertrauens", ohne das der Geldmarkt nicht funktionieren könne. "Vertrauen" ist aber auch nötig für eine funktionierende Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Dazu gehört zum einen das Vertrauen der Mitgliedsstaaten untereinander, das eine kohärente Politik der Union ermöglicht. Dazu gehört auch das Vertrauen der eigenen Bürger in Europa. Transparentere Entscheidungsprozesse und eine effektive parlamentarische Kontrolle werden das Vertrauen in die Europäische Union bei der Bewältigung ihrer Aufgaben im Bereich der Sicherheit und Verteidigung stärken. Dazu gehört aber auch das Vertrauen der Menschen in den Einsatzländern, das darauf beruht, dass Europa den Willen und auch die nötigen Fähigkeiten besitzt um die gesetzten Ziele zu erreichen. Wenn wir uns heute mit der Bewältigung von Krisen in verschiedenen Teilen der Erde, etwa in Afrika befassen, so zeigt sich immer wieder eines: Voraussetzung von Freiheit, Wohlstand und Entwicklung ist Sicherheit und das Vertrauen in den Fortbestand der Sicherheit. Für dieses Vertrauen sollten wir uns und Europa stark machen.