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European Forces in Operation- Rede von Karl von Wogau auf der Europäischen Sicherheitskonferenz in Berlin


Sehr geehrte Damen und Herren,

auch ich begrüße Sie herzlich zur 6. Berliner Sicherheitskonferenz. Die Berliner Sicherheitskonferenz, die nun zum sechsten Mal stattfindet, steht dieses Jahr unter dem Titel: "European Forces in Operation".

Und die Tatsache, dass wir "European Forces in Operation" haben zeigt schon, wie weit sich die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik seit ihrem Start nach dem Gipfel von St. Malo 1998 und dem Gipfeltreffen in Köln 1999 bereits entwickelt hat.

Diese schnelle Entwicklung hat vor allem zwei wichtige Ursachen:

Die erste Ursache ist, dass wir in Europa gemeinsamen Herausforderungen und Sicherheitsrisiken gegenüberstehen, die wir nur gemeinsam bewältigen können.

Die zweite Ursache ist, dass eine große Mehrheit der Bürger in Europa ein gemeinsames europäisches Handeln im Bereich der Sicherheit und der Verteidigung befürwortet. Die europaweiten Meinungsumfragen des Eurobarometers belegen, dass die Zustimmung zur Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik seit zwei Jahrzehnten stabil um die 75 Prozent liegt. Die Zustimmung zu einer gemeinsamen Außenpolitik liegt bei ca. 68 Prozent.

Dies zeigt, dass die Bürger spüren, dass wir Freiheit, Frieden, Demokratie und Wohlstand in Europa dann am besten für die Zukunft bewahren können, wenn wir unsere Anstrengungen in Europa bündeln und auf der Grundlage unserer europäischen Werte und Interessen gemeinsam handeln.

Zu diesen Werten und Interessen gehört der Grundsatz, dass wir Europäer bereit sind, gemeinsam und im multinationalen Rahmen Verantwortung für den Frieden in der Welt, allem voran in unserer Nachbarschaft zu übernehmen.

Es waren ja gerade die schrecklichen Eindrücke der Jugoslawienkriege in den 90er Jahren, die 1998/99 zu der Entscheidung führten, eine eigene europäische Verteidigungsidentität ins Leben zu rufen.

Und diese Herausforderung, Verantwortung gerade auch für Frieden und Stabilität vor unserer eigenen Haustür, in unserer geographischen Nachbarschaft, zu übernehmen, besteht fort.

Die Lage in Bosnien-Herzegowina, wo die Europäische Union 2004 die Verantwortung von der Nato übernahm, ist noch nicht so, dass ein vollständiger Truppenabzug derzeit in Betracht käme.

Die innenpolitische Lage ist noch immer von Spannungen gekennzeichnet. Dort herrscht jetzt Frieden, aber viele betracht den Frieden als eine Form des Krieges mit anderen Mitteln und dieser Staat ist noch lange nicht konsolidiert.

Die zentrale Aufgabe auf dem Balkan stellt jedoch die Statusfrage des Kosovo dar. Es bleiben noch drei Monate Zeit, bis die so genannte Troika in New York ihren Bericht vorlegen wird. Die Suche nach einer dauerhaften Lösung, die nicht zu neuen Konflikten führt, gestaltet sich schwierig. Martti Ahtisaari hat mit seinem Vorschlag einer überwachten Autonomie des Kosovo, bei einem weit reichenden Schutz der Rechte der serbischen Minderheit die richtige Richtung aufgezeigt. Wir müssen nun weiter versuchen, eine Lösung zu finden, der auch Russland und Serbien zustimmen können.

Im Europäischen Parlament herrscht die Auffassung, dass es nicht der richtige Weg wäre, hier einseitig voranzupreschen und zu versuchen, eine Lösung übers Knie zu brechen.

Eine einseitige Anerkennung der Unabhängigkeit des Kosovo brächte keine Lösung des Konfliktes vor Ort und könnte negative Auswirkungen auf andere Konflikte in anderen Regionen, etwa im Südkaukasus haben. Wir sollten als Europäer alles daran setzen, hier gemeinsam mit einer Stimme zu sprechen und uns gemeinsam für eine Lösung im Rahmen der Vereinten Nationen einzusetzen.

Wenn uns das nicht gelingt, so könnte sich der Kosovo zu einer Bewährungsprobe für eine Gemeinsame Europäische Außen- und Sicherheitspolitik entwickeln.

Die Europäische Union hat bereits deutlich gemacht, dass sie bereit ist, im Kosovo noch stärker als bisher Verantwortung für eine positive Entwicklung, insbesondere für den Aufbau rechtsstaatlicher Strukturen, zu übernehmen, und dabei eng mit der Nato zusammenzuarbeiten.

Die Nato wird dort weiter mit rund 17.000 Soldaten präsent sein. Dieser Einsstz wird duch einen Polizeieinsatz der Europäischen Union mit 1500 Polizisten unterstützt werden.

Meine Damen und Herren, auch wenn sich die Handlungsfähigkeit der Europäischen Union im Bereich der Sicherheit und Verteidigung in den letzten zehn Jahren schnell entwickelt hat, so muss doch festgestellt werden, dass die der Union zur Verfügung stehenden Kräfte noch sehr begrenzt sind.

Wir müssen daher darauf achten, dass wir unsere Kräfte nicht planlos über den Globus verstreuen, sondern klare Prioritäten setzen.

Der Balkan gehört als unsere unmittelbare geographische Nachbarschaft ganz natürlich zu unseren Prioritäten.

Wir können jedoch die Augen nicht vor Katastrophen verschließen, die sich etwas weiter weg abspielen.

Ich bin vor wenigen Tagen aus dem Tschad zurückgekehrt. Was ich dort gesehen habe, in den Lagern der Flüchtlinge, hat mich nachhaltig beeindruckt. Hier leben etwa 400.000 Flüchtlinge und Vertriebene aus Darfur und dem Tschad in provisorischen Lagern. Das Morden in Darfur bringt nicht nur unsägliches Leid über Hunderttausende von Menschen, sondern destabilisiert die ganze Region, vor allem auch die Nachbarländer Tschad und die Zentralafrikanische Republik.

Ich habe die Flüchtlinge und Vertriebenen gefragt, was sie sich von Europa als Hilfe erwarten würden. An allererster Stelle haben sie Sicherheit genannt. Sie wünschen sich Sicherheit, um in ihre Heimatdörfer zurückkehren zu können.

Was können wir tun? Eine wichtige Aufgabe, nämlich den Aufbau von Polizeikräften, haben die Vereinten Nationen übernommen. Die Europäische Union könnte einen wichtigen Beitrag leisten, wenn es gelänge, durch eine Stationierung von Streitkräften im Tschad, die Dschandschaweed und die sonstigen Banditengruppen von ihren Übergriffen abzuhalten.

Im Gegensatz zum Sudan, zu dem die Krisenprovinz Darfur gehört, hat der Tschad dem Einsatz von Streitkräften der Europäischen Union zugestimmt. Aus den Vereinten Nationen kam die Aufforderung an die Europäische Union, im Wege einer Überbrückungsmission von einem Jahr zur Sicherheit im Tschad beizutragen. Eine solche Truppe müsste aufgrund des riesigen Gebietes über gute Aufklärungs- und Transportkapazitäten verfügen, um bei bevorstehenden Angriffen schnell vor Ort sein zu können.

Hier kommt der Ausrüstung eine entscheidende Bedeutung zu.

Wichtig wird auch sein, dass eine Truppe der Europäischen Union im Tschad, wenn sie denn kommt, neutral ist. Ihre Aufgabe sollte es sein, unabhängig von den verschiedenen Konfliktparteien innerhalb des Tschad für Sicherheit zu sogen.

Wir im Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung im Europäischen Parlament haben bisher noch keine definitive Stellungnahme zu einem Einsatz von Streitkräften unter europäischer Führung im Tschad abgegeben. Wir wollen zunächst abwarten, welches Mandat, welche Einsatzregeln und welche Ausrüstung eine solche Truppe haben soll. Auch muss geklärt werden, ob eine konkrete Strategie besteht, wie diese Truppe nach einem Jahr abgelöst werden soll. Erst wenn dies geklärt ist, wird das Europäische Parlament Stellung beziehen.

Deutschland wird sich an einem solchen Einsatz voraussichtlich nicht beteiligen, wahrscheinlich aber Frankreich, Spanien, Schweden, Polen und Belgien. Großbritannien hat auf sein Engagement im Irak hingewiesen und beabsichtigt, einige Offiziere in den Führungsstab zu entsenden. Ich denke, dass Deutschland diesen Einsatz, wenn er stattfindet, in ähnlicher Weise zumindest symbolisch unterstützen sollte.

Der erfolgreiche Einsatz von Streitkräften unter Führung der Europäischen Union letztes Jahr zur Absicherung der Wahlen in der Demokratischen Republik Kongo hat gezeigt, dass auch ein zeitlich begrenzter Einsatz zur richtigen Zeit einen wichtigen Beitrag zu Frieden uns Stabilität leisten kann.
Während der kritischen Phase der Wahlen hat der Einsatz dazu beigetragen, eine Eskalation der Gewalt zu verhindern. Das Operationshauptquartier in Potsdam und der Befehlshaber dieses europäischen Einsatzes, der deutsche Generalleutnant Karlheinz Viereck, haben dabei hervorragende Arbeit geleistet.
Die Europäische Union unterstützt weiterhin den Aufbau eines Rechtssystems und funktionierender Institutionen im Kongo. Dies ist eine langfristige Arbeit, die nach wie vor schwierig ist.
Es gibt noch immer große Probleme, aber die Absicherung der Wahlen war ein Erfolg auf diesem schwierigen Weg.

Ein langfristiger Erfolg, und auch das zeigt das Beispiel Kongo, kann jedoch nur erreicht werden, wenn ein zeitlich begrenzter Einsatz von Streitkräften oder von Polizeitruppen in ein langfristiges Konzept für die umfassende Entwicklung in der betroffenen Region oder dem betroffenen Land eingebunden wird.

In der Demokratischen Republik Kongo ist die Europäische Union auch heute, nach Ende des militärischen Einsatzes noch weiter präsent, unter anderem durch die Ausbildung von Polizeikräften in der Hauptstadt Kinshasa. Auch im Bereich der Entwicklungszusammenarbeit engagiert sich die Europäische Union nach wie vor stark in der Region.

Hierin liegt der Schlüssel zu Erfolg einem langfristig orientierten Krisenmanagement:

In der engen Koordination zwischen verschieden Instrumenten. Zivile, wirtschaftliche und militärische Unterstützung müssen eng ineinander greifen und Teil eines umfassenden Konzeptes sein.

Dies gilt gerade auch für Darfur. Hier sind Sicherheitsprobleme von den wirtschaftlichen Problemen in der Region nicht zu trennen.

Ohne die gravierende Verantwortung der sudanesischen Regierung für das Leiden der Menschen in der Region relativieren zu wollen, muss man sehen, dass durch steigende Temperaturen und sinkende Regenmengen im Südsudan jährlich quatratkilomenterweise fruchtbares Land verloren geht und zu Wüste wird.

Das verschärft den Konflikt zwischen schwarzafrikanischen Stämmen und den arabischen Reitermilizen.

Hier kann nur ein umfassendes Konzept langfristig Erfolg haben. Hier hat die Europäische Union in den letzten Jahren wichtige Erfahrungen gesammelt.

Natürlich müssen Bürgerkriege, Klimawandel, AIDS oder Menschenhandel mit ganz unterschiedlichen Mitteln und Instrumenten bekämpft werden.

Aber wenn Probleme und Risiken miteinander zusammenhängen, so ist es wichtig, dass auch die Versuche zur Lösung der Probleme und der Einsatz verschiedener Instrumente zur Bewältigung von Risiken eng und effektiv koordiniert werden. Die Europäische Union hat Erfahrungen darin gesammelt, friedensschaffende und friedenssichernde Maßnahmen, Krisenmanagement, den Aufbau demokratischer Strukturen, den Aufbau funktionierender Verwaltungen, Entwicklungszusammenarbeit und Kriminalitätsbekämpfung miteinander zu verknüpfen.

Meine Damen und Herren, wenn Soldaten unter Führung der Europäischen Union in gemeinsame Einsätze geschickt werden, so ist es unsere Verantwortung, dafür zu sorgen, dass sie eine angemessene Ausrüstung zur Verfügung haben, sodass unnötige Risiken vermieden werden.

Wir müssen schrittweise dafür sorgen, dass die Truppen bei Einsätzen der Europäischen Union über eine zunehmend einheitliche Ausrüstung verfügen. Dies gilt vor allem bei Aufklärung, Telekommunikation und Transport. Es ist unverantwortlich, Soldaten in Einsätze zu schicken, ohne dass ihnen die notwendigen Aufklärungsmittel zur Verfügung gestellt werden. Dies beginnt mit der Satellitenaufklärung, wo es darum geht, die vorhandenen Kapazitäten zusammenzuführen. Hier gibt es gegenwärtig noch parallel verschiedene nationale Systeme: SAR Lupe, Helios und Cosmos Skymed. Auch bei der Entwicklung neuer Drohnen sollte mehr europäische Gemeinsamkeit hergestellt werden. Es ist unbestritten, dass europaeische Streitkräfte heute noch nicht in der Lage sind für ihre Einsaetze ein umfassendes Bodenlagebild abzubilden.
Es bestand aber bis vor kurzem die Hoffnung , dass die EU in nicht allzu weiter Ferne - ueber das Berlin Plus Abkommen- von den künftigen NATO AGS- Faehigkeiten würde im Bedarfsfall profitieren koennen.
Diese Fähigkeiten sollten in einer Kombination von bemannten und unbemannten luftgestützten Plattformen so organisiert sein, das in zwei Orbits pro 24 Stunden ein kontinuierliches und umfassendes Allwetterlagebild verfügbar gewesen wäre. Leider sieht es nun so aus, als ob das Projekt AGS in der NATO nicht zustande käme. Dies ist zu bedauern und die Europäer sollten nun überlegen, wie sie die bestehenden Kapazitätslücken gegebenenfalls durch Zusammenarbeit auf europäischer Ebene schließen können.

Ein weiterer Problembereich bei der Ausrüstung europäischer Streitkräfte stellt die Telekommunikationsausrüstung bei gemeisamen Einsätzen dar. Derzeit gibt es fünf verschiedene Telekommunikationssysteme zur Führung von Streitkräften. Wir sollten hier die Möglichkeiten nutzen, die durch die Entwicklung von Software Defined Radio entstehen, um die Kompatibilität der bei multinationalen Einsätzen verwendeter Telekommunikationssysteme zu erreichen. Hier geht es in erster Linie um die Entwicklung eines gemeinsamen technischen Standards.

Auch im Bereich des Luft- und Seetransports müssen wir unsere Kapazitäten in Europa verbessern und sollten hierbei enge zusammenarbeiten. Der A 400 M ist dabei ein Schritt in die richtige Richtung.

Meine Damen und Herren, es wird uns nur gelingen, die bestehenden Fähigkeitslücken zu schließen, wenn es uns gelingt, unser Geld in Europa gemeinsam effektiver auszugeben. Die 27 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union geben zusammen etwa 170 Milliarden Euro für Verteidigung aus.
Davon werden mehr als 80 Milliarden Euro für Beschaffung allgemein und 30 Milliarden Euro speziell für den Kauf neuer Ausrüstung aufgewendet.

Bei den meisten Aufträgen im Verteidigungsbereich machen die Mitgliedsstaaten von der Ausnahmeregelung des Artikels 296 EG-Vertrag Gebrauch und schreiben die Aufträge nicht nach den europäischen Vorschriften aus, sondern vergeben die Aufträge auf der Grundlage einzelstaatlicher Vergabevorschriften.

Das Ergebnis ist, dass es keinen europäischen Markt für Rüstungsgüter gibt, die Verwendung öffentlicher Gelder im Verteidigungsbereich durch Mehrkosten, Mehrfachbeschaffungen und Ineffizienz gekennzeichnet ist und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Rüstungsindustrie unter der öffentlichen Vergabepraxis leidet.

Dies alles ist mit dafür verantwortlich, dass die Mitgliedsländer der Europäischen Union in den 90er Jahren nicht in der Lage waren, ohne Hilfe der Amerikaner Frieden und Stabilität auf dem Balkan wiederherzustellen, obwohl die heutigen Mitgliedsländer der Union insgesamt über 2 Millionen Soldaten, 10.000 Kampfpanzer, und 3.000 Kampfflugzeuge verfügen und 170 Milliarden für Verteidigung ausgeben. Die Mitgliedstaaten machen von der Ausnahmevorschrift des Art. 296 EG-Vertrag aus zwei Gründen sehr häufig Gebrauch:

Erstens sind der Anwendungsbereich und die Anwendungsvoraussetzungen des Artikels 296 nicht klar definiert. Die Auslegungsmitteilung der Kommission geht auf dieses Problem ein.

Zweitens werden die aktuellen europäischen Vergabevorschriften für viele Rüstungsverträge als unzweckmäßig angesehen, da sie sehr kompliziert sind und einige Besonderheiten solcher Verträge nicht berücksichtigen. Viele Mitgliedstaaten vermeiden daher selbst dann, wenn die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme des Artikels 296 EGV nicht vorliegen, bei der Beschaffung von Rüstungsgütern die Anwendung der europäischen Vorschriften. Wir begrüßen die Pläne der Kommission, die Ausschreibung für Rüstungsgüter, durch eine neue Richtlinie zu regeln.

Allerdings hören wir als Abgeordnete häufig Kritik an den Ausschreibungsregeln der Union, die im kommunalen Bereich gelten. Diese werden von vielen als schwerfällig und bürokratisch angesehen. Darum werden wir den Vorschlag der Kommission genau darauf prüfen, ob er dieses vermeidet und den Besonderheiten des Verteidigungsbereiches Rechnung trägt.

Wir Europäer werden häufig deswegen kritisiert, weil wir zu wenig Geld für Verteidigung ausgeben. Das ist sicher richtig. Zunächst müssen wir aber dafür sorgen, dass die von uns ausgegebenen Gelder vernünftig ausgegeben werden. Wenn wir das tun, haben wir die Chance, für dasselbe Geld mehr Sicherheit gewährleisten zu können.

Ein Thema, mit dem wir uns auch auseinandersetzen müssen, ist die Frage der Raketenabwehr. Der Vorschlag für einen US-Antikraketenschild in Europa unter Einschluss Polens und der Tschechischen Republik ist noch immer nicht klar genug im Hinblick auf seine praktische Unsetzung und die Auswirkungen auf die Sicherheitsinteressen der Nachbarstaaten definiert. Das von den USA verfolgte Konzept würde jedoch nach derzeitigem Stand zu Sicherheitslücken an den Rändern Europas führen. Für mich ist die Sicherheit Washingtons und New Yorks wichtig. Genauso wichtig ist mir aber auch der Schutz meiner Heimatstadt Freiburg ebenso wie der von Paris, Berlin, Neapel oder Sofia. Deshalb darf es auch in der Europäischen Union keine Zonen unterschiedlicher oder abgestufter Sicherheit geben. Ich appelliere deshalb eindringlich an Polen und die Tschechische Republik, keine endgültigen Entscheidungen zu treffen, bevor die NATO einen Beschluss über das Gesamtsystem gefasst hat. Dazu gehört auch eine intensive Abstimmung mit Russland. Es ist notwendig, dass Europa im Rahmen der NATO ein strategisches Konzept für eine Raketenabwehr entwickelt, das den spezifischen europäischen Interessen Rechnung trägt. Die Europäische Union verfügt über die nötige Kompetenz und über die erforderlichen Ressourcen, um sich aktiv an dem geplanten System zu beteiligen.
Für die notwendigen Verbesserungen und Konsultationen brauchen wir jedoch ausreichend Zeit. Deshalb dürfen die notwendigen Entscheidungen jetzt nicht gewaltsam über das Knie gebrochen werden.

Umfragen zeigen, dass sich eine breite Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger in Europa eine engere europäische Zusammenarbeit im Bereich der Sicherheit und Verteidigung wünscht.

Die Menschen wollen aber auch Transparenz, sie wollen wissen, wer welche Entscheidung trifft und wer wofür die Verantwortung trägt.

Und je mehr Entscheidungen auf europäischer Ebene getroffen werden, je mehr Einsätze unter dem Kommando der Europäischen Union stattfinden, desto stärker und dringender stellt sich natürlich auch die Frage:

Wie können wir eine effektive parlamentarische Kontrolle der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gewährleisten. Vieles geschieht bereits. Im Auswärtigen Ausschuss des Europäischen Parlamentes und seinem Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung finden regelmäßig Aussprachen mit Javier Solana über aktuelle Ereignisse, einzelne Einsätze aber auch über längerfristige Strategien statt. Es gibt auch regelmäßige Informationen durch den Vorsitzenden des Militärstabs der Europäischen Union. Regelmäßig finden Delegationsreisen statt, bei denen sich Mitglieder des Ausschusses vor Ort ein Bild vom Verlauf europäischer Missionen und Einsätze machen, so wie ich nun im Tschad war. Eine der zentralen Rollen eines Parlamentes ist jedoch die Kontrolle des Haushaltes. Hier gibt es auf europäischer Ebene nach wie vor Defizite, denn die Politik der Europäischen Union im Bereich der Sicherheit und der Verteidigung wird nur teilweise aus dem ordentlichen Gemeinschaftshaushalt finanziert. Die Finanzierung dieser Politik unterliegt daher auch nur teilweise der Kontrolle durch das Europäische Parlament. Im Interesse einer effektiven parlamentarischen Kontrolle sollte die Finanzierung der aller Einsätze im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik in den regulären Haushalt der Europäischen Union eingefügt werden.

Transparentere Entscheidungsprozesse und eine effektive parlamentarische Kontrolle werden das Vertrauen in die Europäische Union bei der Bewältigung ihrer Aufgaben im Bereich der Sicherheit und Verteidigung stärken.

Ein wichtiger Schritt in Richtung mehr Transparenz und in Richtung effektiverer Entscheidungsstrukturen stellt die Einigung auf die Inhalte eines neuen Grundlagenvertrages dar, die im Juni unter der Vermittlung von Angela Merkel erzielt wurde. Es besteht die Hoffnung, dass sich die Koordination zwischen diesen verschiedenen Instrumenten in Zukunft noch weiter verbessert, wenn die geplanten institutionellen Reformen auf europäischer Ebene greifen. Das gemeinsame europäische Handeln bei Sicherheit und Verteidigung hat bisher immer wieder unter einer gewissen Konkurrenz zwischen Europäischer Kommission und Ministerrat gelitten.

Es ist ein großer Erfolg von Angela Merkel, dass die im Juni erzielte Einigung über die Inhalte des neuen Grundlagenvertrages auch einen Hohen Vertreter für die gemeinsame Außenpolitik vorsieht. Dieser soll sowohl dem Rat angehören als auch Vizepräsident der Kommission sein. Damit würde es in Zukunft möglich sein, Programme der Kommission, wie etwa die Sicherheitsforschung oder die Entwicklungszusammenarbeit, noch enger mit den Aktivitäten des Rates im Bereich des Krisenmanagements zu koordinieren.

Der Gipfel der Staats- und Regierungschefs im Juni hat weitere wichtige Ergebnisse gebracht. So soll dem Hohen Vertreter für die Europäische Außenpolitik künftig ein eigener Diplomatischer Dienst zur Verfügung stehen. Auch das demokratische Fundament der Europäischen Union wird gestärkt, die Haushalts- und Gesetzgebungsrechte des Europäischen Parlamentes werden erweitert, die nationalen Parlamente werden in die Entscheidungsfindung enger eingebunden und es wird die Möglichkeit von Volksabstimmungen geschaffen. Noch sind die auf dem Juni-Gipfel beschlossenen Eckpunkte des neuen Grundlagenvertrages für die Europäische Union nicht in trockenen Tüchern. Zunächst einmal bleibt zu hoffen, dass der im Juni erzielte Kompromiss nun auch umgesetzt wird.

Die Ergebnisse der Deutschen Ratspräsidentschaft werden der Europäischen Union dabei helfen, gerade auch ihre Handlungsfähigkeit nach außen zu stärken. Wie wichtig ein gemeinsames Auftreten nach außen ist, zeigt sich an den zahlreichen Herausforderungen, bei denen wir nur dann hoffen können, etwas zu erreichen, wenn wir geschlossen auftreten.

Dies ist beispielsweise beim Kampf gegen die Proliferation von Nuklearwaffen der Fall. Mit Sorge beobachten wir, wie nach der Überwindung des globalen Gleichgewichtes des Schreckens auf regionaler Ebene neue, regionale Gleichgewichte des Schreckens entstehen. So etwa zwischen Iran und den arabischen Ländern, zwischen Indien und Pakistan, zwischen Israel und Iran oder zwischen Nordkorea und Japan. Hierauf gemeinsam eine Antwort zu finden, ist eine der Herausforderungen für die einer gemeinsame Sicherheits- und Verteidigungspolitik für Europa.

Um diese Herausforderungen erfolgreich zu bewältigen, müssen wir auch die Zusammenarbeit zwischen Europäischer Union und Nato noch enger gestalten. Beide haben im Bereich der Sicherheit unterschiedliche Stärken und Schwächen. Es ist wichtig, dass wir die vorhandenen Fähigkeiten bestmöglich zum Einsatz bringen. Die Europäische Union steht mit ihrem großen Engagement im Bereich der Entwicklungshilfe traditionell für Softpower.

Der Einsätz in Bunja im Kongo hat jedoch gezeigt, dass Truppen unter Führung der Europäischen Union auch Kampfeinsätze durchführen können.

Dies ist wichtig, da sich gezeigt hat, dass es Situationen gibt, in denen Softpower ihre Wirkung nur dann entfalten kann, wenn Hardpower dahintersteht.

Wo sollte die Europäische Union Verantwortung übernehmen? Welche Aufgaben sind Aufgaben für die Europäische Union und welche nicht?

Wie können die unterschiedlichen zivilen und militärischen Instrumente im Bereich des Krisenmanagements noch besser koordiniert werden?

Und wie kann Europa noch mehr für Krisenprävention tun, um weniger Krisen managen zu müssen?

Auch in diesem Jahr wird die Berliner Sicherheitskonferenz im Hauptprogramm und in den Panels wieder die Gelegenheit bieten, diese und andere Fragen aus dem Bereich der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik detaillierter zu diskutieren.

Wir können uns auf zwei Tage interessanter Diskussionen und Ideen freuen.

Mit der Berliner Sicherheitskonferenz haben wir uns zum Ziel gesetzt, in diesen zwei Tagen einen Überblick über den Stand der Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik zu geben.

Wenn wir uns heute mit der Bewältigung von Krisen in verschiedenen Teilen der Erde, etwa in Afrika befassen, so zeigt sich immer wieder eines: Voraussetzung von Freiheit, Wohlstand und Entwicklung ist Sicherheit.

Wir Europäer haben es geschafft, den Frieden untereinander, zwischen unseren Staaten, auf eine feste und stabile Grundlage zu stellen.

Wir sollten nun bereit sein, gemeinsam Verantwortung für unsere Sicherheit nach innen und außen und für Frieden und Stabilität in unserer Nachbarschaft zu übernehmen.