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Karl von Wogau: Rede auf der Europäischen Sicherheitsforschungskonferenz in Berlin


Karl von Wogau

Zunächst möchte ich die Frage beantworten, warum ich als Vorsitzender des Unterausschusses für Verteidigung des Europäischen Parlamentes gebeten wurde, an dieser Konferenz mitzuwirken, die sich zunächst einmal in erster Linie mit ziviler Sicherheitsforschung beschäftigt.

Der Grund ist darin zu sehen, dass heute, beispielsweise bei der Bekämpfung des Terrorismus, die alte Unterscheidung zwischen innerer und äußerer Sicherheit und auch zwischen ziviler und militärischer Forschung und Entwicklung zunehmend an Bedeutung verliert. Die Defizite, mit denen wir es zu tun haben, sind im zivilen und im militärischen Bereich zunehmend dieselben.

Die Europäische Kommission hat in der letzten Legislaturperiode damit begonnen, sich mit dieser Tatsache auseinanderzusetzen. Kommissionspräsident Prodi hat eine Gruppe zusammengerufen, die aus Mitgliedern der Kommission, des Parlamentes und den Vorstandsvorsitzenden einiger Unternehmen bestand. Diese hatte den Auftrag, einen Vorschlag im Bereich der Sicherheitsforschung zu erarbeiten, um festzustellen, welche wichtigen Defizite in diesem Bereich bestehen.

Das Ergebnis dieser Arbeitsgruppe war, dass eine Konsolidierung auf der Nachfrageseite unbedingt erforderlich ist. Der Markt in diesem Bereich ist außerordentlich zersplittert. Im Bereich der Verteidigung sind es 27 Verteidigungsministerien auf der Nachfrageseite. Darum besteht die Tendenz, das Rad nicht einmal, sondern immer wieder zu erfinden.

Diese Arbeitsgruppe kam auch zu dem Ergebnis, dass für gemeinsame Sicherheitsforschung in der Europäischen Union der Betrag von 1 Milliarde Euro pro Jahr notwendig sei. Die Realität in den ersten Jahren war allerdings anders. Es war nicht einfach, die Sicherheitsforschung im Forschungsrahmenprogramm der Europäischen Union zu verankern. Anstelle der geforderten Milliarde standen nach Abschluss zäher Haushaltsverhandlungen im ersten Jahr 15 Millionen für eine vorbereitende Aktion zur Verfügung. Dieselbe Situation ergab sich auch im zweiten Jahr. In diesem Jahr sind es 150 Millionen Euro, die zur Verfügung stehen. Glücklicherweise ist es aber auch gelungen, den Betrag von 1,4 Milliarden auf sieben Jahre im Forschungsrahmenprogramm zu verankern.

Dabei muss man jedoch auch berücksichtigen, dass im Haushalt der Europäischen Union für Satellitennavigation (Galileo), satellitengestützte Beobachtung (GMES), Telekommunikation und innere Sicherheit weitere Beträge zur Verfügung stehen, die wesentliche Sicherheitsaspekte abdecken.

Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik

Anlass für die Entwicklung einer autonomen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik waren die Bürgerkriege auf dem Balkan. In Srebrenica wurden 8000 Männer umgebracht, ohne dass das scheinbar so mächtige Europa dieses verhindern konnte. Ganz unverständlich in Anbetracht der Tatsache, dass die Mitgliedsländer in ihren Verteidigungshaushalten über jährlich insgesamt 160 Milliarden Euro sowie über 1,2 Millionen Soldaten, 10 000 Kampfpanzer und 3000 Kampfflugzeuge verfügen. Dennoch war man nicht dazu imstande, das Blutvergießen auf dem Balkan zu beenden. Versagt haben dabei die Mitgliedsländer, die nicht dazu in der Lage waren, ihre Kapazitäten in der notwendigen Weise zu bündeln. Unsere amerikanischen Freunde, die dieses Problem für uns gelöst haben, bescheinigten uns anschließend, dass wir für Verteidigung weniger als die Hälfte ausgeben, dass aber die Effizienz unserer Ausgaben bei maximal 10% liegt.

Aus diesem Bewusstsein entstanden die Beschlüsse der Staats- und Regierungschefs in Helsinki, die 1999 beschlossen, eine Kriseninterventionstruppe der Europäischen Union von 60000 Mann aufzustellen und die notwendigen Strukturen für die Führung gemeinsamer europäischer Einsätze zu schaffen.

Diese Kriseninterventionstruppe wurde bisher eingesetzt in Mazedonien, in der kongolesischen Provinz Bunja, in Bosnien-Herzegowina und jüngst im Kongo zur Absicherung der dort stattfindenden Wahlen. Hier handelte es sich um Einsätze von Streitkräften unter der Führung der Europäischen Union.

Neueste Entwicklung sind die so genannten „ Battle Groups“. Hier handelt es sich um Gefechtsverbände, von denen jeweils zwei in jedem Halbjahr zur Verfügung stehen. Seit Anfang dieses Jahres stehen diese für kurzfristig auftretende Krisensituationen bereit.

Die Ausrüstung und Bewaffnung dieser Gefechtsverbände findet das besondere Interesse des Unterausschusses Sicherheit und Verteidigung des Europäischen Parlamentes. Es geht um die Frage, ob bei diesen Einsätzen Soldaten und Soldatinnen unnötigen Risiken ausgesetzt werden.

Der Soldatenberuf ist gefährlich. Er beinhaltet Risiken, die nicht vermeidbar sind. Unnötige Risiken, die von der Politik verantwortet werden, entstehen jedoch dann, wenn entweder die Führungsstrukturen ungeeignet sind oder wenn die Ausrüstung und Bewaffnung den notwendigen Anforderungen nicht entspricht.

Bei gemeinsamen Einsätzen unter europäischer Führung geht es dabei insbesondere um die Frage der Kompatibilität. Beispielsweise wenn eine finnische und eine griechische Battle Group gemeinsam eingesetzt werden, muss man sich fragen, ob durch unterschiedliche Ausrüstung im Bereich der Aufklärung und der Telekommunikation vermeidbare Risiken entstehen.

Die Sicherheitsstrategie der Europäischen Union

Die Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union haben im Dezember 2003 eine Sicherheitsstrategie beschlossen, die von Javier Solana erarbeitet wurde. Diese analysiert die Gefährdungen, denen Europa ausgesetzt ist, und ist in mancher Beziehung auch eine Antwort auf die Sicherheitsstrategie der Vereinigten Staaten.

In dieser Strategie werden Terrorismus, Massenvernichtungswaffen und regionale Konflikte als wesentliche Gefährdungen unserer Sicherheit angesprochen.

Gleichberechtigt stehen jedoch daneben der Schutz der Außengrenzen und der kritischen Infrastrukturen der Europäischen Union und die Bewältigung von Naturkatastrophen. Mit anderen Worten: der breite Begriff dieser Sicherheitsstrategie reicht vom Einsatz europäischer Soldaten im Kongo bis zur Bewältigung des nächsten Tsunami.

Defizite

Wenn man diese Gefahrenbereiche analysiert, stellt man auch fest, dass die Defizite weitgehend dieselben sind.
Zunächst die satellitengestützte Aufklärung. Bei einer Naturkatastrophe brauchen wir rund um die Uhr und unabhängig von der Wetterlage Satellitenbilder, die uns die jeweilige Situation zeigen. Dasselbe ist notwendig, wenn man vor einem notwendigen Einsatz wissen will, wie es in den Straßen von Kinshasa genau aussieht. Unser Satellitenzentrum in Torrejon verfügt bisher nur über Aufnahmen, die kommerziell eingekauft sind und die den oben genannten Anforderungen nicht entsprechen. Es gibt aber mindestens drei Satellitenaufklärungssysteme, die in Europa derzeit entwickelt werden: SAR Lupe, Helios und Cosmos SkyMed. Diese müssen zumindest miteinander kompatibel gemacht werden. Für die nächste technische Generation sollte ein gemeinsames System entwickelt werden.

Dasselbe gilt auch im Bereich der Telekommunikation. Es gibt in Europa mindestens fünf unterschiedliche Systeme zur Führung multinationaler Verbände. Neue technische Entwicklungen im Bereich der Telekommunikation (Software Defined Radio) sollten für uns der Anlass sein, jetzt ein gemeinsames europäisches System zu entwickeln. Geräte auf der Basis einer gemeinsamen technischen Norm sollten für Katastrophenschutzeinrichtungen, Polizei und für unsere Streitkräfte zur Verfügung stehe. Damit wäre die Voraussetzung dafür geschaffen, dass bei Naturkatastrophen ein gemeinsames Telekommunikationssystem zur Verfügung steht.
Die gemeinsame Norm für Mobiltelefone (GSM) ist eine der Erfolgsgeschichten der Europäischen Union. Sie hat dazu geführt, dass wir in diesem Bereich Weltmarktführer geworden sind. Das können wir jetzt im Bereich der Sicherheit erreichen, wenn wir gemeinsam vorgehen.
Derzeit sehe ich die Gefahr, dass diese Gemeinsamkeit durch nationale Alleingänge zerstört wird. Das darf nicht geschehen. Wir dürfen nicht zulassen, dass dadurch eine wichtige Chance gemeinsamer Europäischer Industriepolitik verspielt wird.

Wesentliche Defizite haben wir auch im Bereich von Luft- und Seetransport. Die Koordinationszentren in Eindhoven und Athen und die Entwicklung des Airbus 400 sind positive Entwicklungen auf diesem Gebiet.

Vor allem besteht heute im Bereich von Sicherheit und Verteidigung ein sehr schwerwiegendes institutionelles Defizit. Das zeigt sich auch heute bei dieser Konferenz. Für Verteidigung ist der Hohe Beauftragte des Rates, Javier Solana, zuständig. Er hat aber keine Zuständigkeit im Bereich der Forschung und Industrie. Auf der anderen Seite steht die Europäische Kommission. Diese ist zuständig für Forschung, Industrie, Telekommunikation etc., aber nicht für Verteidigung. Ich bin als Abgeordneter des Europäischen Parlamentes der einzige, der unbefangen über alle Aspekte beider Bereiche sprechen kann, weil diese Zweiteilung im Parlament nicht besteht.

Dieses zeigt, wie notwendig der im Verfassungsvertrag geforderte Außenminister der Europäischen Union ist, der gleichzeitig auch Vizepräsident der Europäischen Union sein soll. Das Europäische Parlament hat vorgeschlagen, diesem einen Stellvertreter zur Seite zu stellen, der die Zuständigkeit für Fragen der Verteidigung erhalten soll.

Die Überwindung dieser Zweiteilung im Bereich unserer Institutionen ist Voraussetzung für eine Politik aus einem Guss für alle Bereiche unserer Sicherheitspolitik.