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Eine Europäische Armee?

Die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik seit den Beschlüssen der Staats- und Regierungschefs im Jahr 1999 in Köln

Meine erste Erinnerung an die Erwähnung einer Europäischen Armee geht auf das Jahr 1952 zurück. Damals las ich einen ausführlichen Bericht in einer Illustrierten mit dem schönen Namen Quick, die es schon lange nicht mehr gibt. In diesem Bericht wurde geschildert, dass jetzt eine gemeinsame Europäische Armee in Vorbereitung sei, und es gab Bilder von den zukünftigen Uniformen und der Ausrüstung der Europäischen Soldaten. Ich war damals 11 Jahre alt und fand diesen Artikel interessant.

Wie wir wissen, ist dieses damalige Projekt zwei Jahre später in der französischen Nationalversammlung gescheitert. Als ich im Jahre 1979 in das erste direkt gewählte Europäische Parlament gewählt wurde, war Verteidigung kein Thema der Europäischen Politik. Zwar wurde dort ein Unterausschuss für Sicherheit und Abrüstung unter dem Vorsitz meines
Freundes Hans- Gert Pöttering eingerichtet, aber das Wort „Verteidigung“ musste sorgfältig vermieden werden. Dafür gab es keine europäische Zuständigkeit.

Erst seit den Beschlüssen von Köln und Helsinki im Jahr 1999 hat sich eine Europäische Identität im Bereich von Sicherheit und Verteidigung entwickelt. Bundeskanzlerin Angela Merkel hat vor einiger Zeit den Begriff „Europäische Armee“ in einem Interview verwendet, was allerdings sofort zu lauten Protesten aus London geführt hat.

Heute muss man die Frage stellen, ob eine Europäische Armee ein realistisches Ziel europäischer Politik sein kann. Wäre das mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes vereinbar? Wären andere Mitgliedsländer zu einem solchen Schritt bereit? Wäre das nach der Wirtschafts- und Währungsunion der endgültige Verzicht auf unsere Souveränität?

In Diskussionen über dieses Thema wird mir auch immer wieder die Frage gestellt, was wir Europäer denn eigentlich verteidigen wollen[1]. In Europa haben wir seit 1945 Frieden. Dass in dieser Zeit in der Welt mehr als 200 bewaffnete Konflikte stattgefunden haben, wird von vielen nicht zur Kenntnis genommen.

Eine gemeinsame Verteidigung setzt aber auch voraus, dass ein Bewusstsein einer gemeinsamen europäischen Identität, gemeinsamer Werte und gemeinsamer Sicherheitsinteressen besteht.

Wir müssen uns auch der Frage stellen, in welchem Umfang wir dazu bereit sind, uns auch außerhalb der Europäischen Union für unsere Werte einzusetzen, beispielsweise bei Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.


Was ist seit 1999 geschehen?

St Malo, Köln und Helsinki

Der eigentliche Grund für einen neuen Anfang einer gemeinsamen europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik waren die Kriege auf dem Balkan. Wie viele andereEuropäer habe ich es damals als eine Schande empfunden, dass wir nicht dazu in der Lage gewesen sind, dieses Blutvergießen zu verhindern beziehungsweise zu beenden.

Es war eine Situation entstanden, in der ein europäischer Bürgerkrieg nur durch den Einsatz von Streitkräften beendet werden konnte. Damals haben die Nationalstaaten Europas versagt. Das scheinbar so mächtige Europa hatte weder die erforderlichen Strukturen noch die Möglichkeiten einzugreifen. Schließlich haben unsere Verbündeten von der anderen Seite des Atlantik das Problem für uns auf ihre Weise gelöst.

Noch heute muss man sich die Frage stellen, warum denn eigentlich die Probleme Europas mit seinen 500 Millionen Bürgern und einem Bruttoinlandsprodukt von mehr als 10 000 Milliarden Euro von 240 Millionen Amerikanern mit einer etwa gleichen Wirtschaftsleistung gelöst werden müssen.

Die ersten Beschlüsse auf dem Weg zu einer Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik kamen in einer ungewohnten Konstellation zustande. In der Vergangenheit waren es immer Frankreichund Deutschland gewesen, die gemeinsam europäische Initiativen entwickelt hatten. Jetzt waren es Frankreich und Großbritannien, die in St. Malo 1998 eine Europäische Identität im Bereich der Sicherheit forderten.

Dieses führte zu den Beschlüssen des Europäischen Rates in Köln und Helsinki[2], wonach der Europäischen Union bis zu 60 000 Soldaten und Soldatinnen für Kriseneinsätze zur Verfügung stehen sollten.


Sicherheitsstrategie

Auf dieser Grundlage entwickelte Javier Solana, der damalige Hohe Vertreter für die Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik, die heute noch gültige Sicherheitsstrategie der Europäischen Union[3].

Diese beginnt mit der Feststellung, dass kein Land in der Lage ist, die komplexen Probleme der heutigen Zeit im Alleingang zu lösen und dass die Europäische Union als Zusammenschluss von Staaten, die ein Viertel des Bruttosozialproduktes weltweit erwirtschaften, dazu bereit sein sollte, Verantwortung für die globale Sicherheit und für eine bessere Welt mit zu tragen.

Des weiteren wird festgestellt, dass jedes Jahr 45 Millionen Menschen an Hunger und Unterernährung sterben, und dass Sicherheit eine der Vorbedingungen für jede Entwicklung ist.

Wichtigstes Charakteristikum der Europäischen Sicherheitsstrategie ist ihr breiter Ansatz, die enge Verzahnung von zivilen und militärischen Instrumenten der Krisenbewältigung und das Ziel einer Weltordnung auf der Grundlage eines wirksamen multilateralen Systems im Rahmen der Charta der Vereinten Nationen. Dieses war die Antwort Europas auf die damalige Strategie der Vereinigten Staaten, die in erster Linie auf die so genannten Koalitionen der Willigen setzte.

Diese Europäische Strategie wurde 2003 von den Staats- und Regierungschefs der Europäischen Union beschlossen und im Dezember 2008 unter französischer Präsidentschaft nochmals ergänzt.


Strukturen

Auf der Grundlage dieser Beschlüsse wurden inzwischen mehr als zwanzig zivile und militärische Einsätze durchgeführt. Um diese zu ermöglichen, mussten die dazu erforderlichen Strukturen geschaffen werden.

In den ersten Jahren war es in erster Linie Javier Solana, der als Generalsekretär des Rates und Hoher Vertreter für Außen- und Sicherheitspolitik diesem neuen Feld Europäischer Politik ein Gesicht gegeben hat.

Das Europäische Parlament hat einen Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung eingerichtet, der von mir geleitet wurde.

Instrumente des Rates sind das Politische und Sicherheitspolitische Komitee (PSK)und die Europäische Verteidigungsagentur, deren Aufgabe es ist, einen Europäischen Markt für Verteidigungsgüter zu schaffen und die Sicherheitsforschung zu fördern.

Dazu kommt die Schaffung einer zivil- militärischen Planungsdirektion (CMPD), die sowohl für die zivilen als auch für die militärischen Aspekte der Krisenbewältigung zuständig sein soll.

Mit der Schaffung des Europäischen Auswärtigen Dienstes auf der Grundlage des Vertrages von Lissabon steht jetzt der Hohen Vertreterin für die Außen- und Sicherheitspolitik, Baroness Ashton, ein neues Instrument zur Verfügung, um eine kompetente und wirksame Gemeinsame Außen- und Sicherheitspolitik zu gestalten.

Dazu gehören gemeinsame Abrüstungsmaßnahmen, humanitäre Aufgaben und Rettungseinsätze, Aufgaben der militärischen Beratung und Unterstützung, Aufgaben der Konfliktverhütung und der Erhaltung des Friedens bis hin zu Kampfeinsätzen im Rahmen der Krisenbewältigung. Diese Aufzählung von Aufgaben zeigt den umfassenden Ansatz der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union.


Bisherige Einsätze

Die bisherigen Einsätze im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zeigen die gesamte Spannweite sicherheitspolitischer Aufgaben. Sie reichen von der Unterstützung beimAufbau eines rechtsstaatlichen Justizsystemsund der Entsendung von Beobachtern bis hin zu Einsätzen von Streitkräften unter derFührung der Europäischen Union.

Im Kosovo werden die militärischen Aufgaben von der Nato wahrgenommen. Der Beitrag der Europäischen Union besteht nicht in der Entsendung von Soldaten, sondern in der Unterstützung bei der Herstellung rechtsstaatlicher Verhältnisse, insbesondere der Ausbildung der Polizei und dem Aufbau eines unabhängigen Gerichtswesens. Die Mission EULEX ist derzeit die größte zivile Mission der Europäischen Union. Ein weiteres Beispiel für die Hilfe der Europäischen Union bei der Ausbildung von Sicherheitskräften ist die Mission EUPOL Afghanistan

Ein gutes Beispiel für die Kombination verschiedener Instrumente der Sicherheitspolitik war die Aktion der Europäischen Union bei der Krise in Georgien im August 2008. Einerseits der diplomatische Einsatz des Ratspräsidenten Nicolas Sarkozy in Tiflis und Moskau, der zu einem Waffenstillstand führte, und andererseits die Entsendung von 300 Beobachtern in die Krisenregion. Ihre Aufgabe ist es, die Situation zu analysieren, die Rückkehr von Flüchtlingen zu beobachten und zum Abbau der Spannungen und zur Stabilisierung der Lage zwischen den Parteien beizutragen.

Allerdings wurden hier auch die Grenzen der Kapazitäten der Europäischen Union sichtbar. Die Entsendung der Beobachter war nur durch einen außerordentlichen Einsatz der vorhandenen Mittel möglich, und bei einem Besuch vor Ort musste ich feststellen, dass Schutzausrüstungen, geschützte Fahrzeuge und sogar Ferngläser Mangelware waren. Nicht gerade optimal für eine Beobachtermission. Für die Zukunft wäre zu überlegen, ob es möglich wäre, einen Pool mit einer Grundausrüstung zu bilden, der jederzeit für Einsätze dieser Art zur Verfügung steht.

Beispiele für den Einsatz von Streitkräften im Rahmen der Sicherheits- und Verteidigungspolitik der Europäischen Union waren die Einsätze im Kongo, im Tschad und im Golf von Aden.

In den Kongo wurden Streitkräfte unter der Führung der Europäischen Union entsendet, um die dortigen Wahlen abzusichern. Die Vereinten Nationen hatten die Europäische Union dazu aufgefordert. Es war ein genau umrissener und zeitlich begrenzter Einsatz, der in diesem Sinne erfolgreich durchgeführt wurde. Eine sehr brisante Situation bei dem Angriff von Regierungstruppen auf den Führer der Opposition wurde durch die Intervention der Europäischen Streitkräfte entschärft.

Seit Dezember 2008 kreuzen Schiffe der Europäischen Union im Rahmen der Mission Atalanta im Golf von Aden, um gegen die zunehmende Piraterie in dieser Region vorzugehen und die Handelswege der Europäischen Union zu schützen. Dennoch hielten somalische Piraten im Januar 2011 noch 31 Schiffe mit mehr als 700 Seeleuten fest.

Die Mission EUFOR Tchad/RCA vom Januar 2008 bis März 2009 hatte zum Ziel, die Lager von Flüchtlingen und Vertriebenen entlang der Grenze zum Sudan zu schützen, die immer wieder von Reitermilizen aus Darfur angegriffen wurden.

Im Tschad ist zum ersten Mal ein Soldat bei einem Einsatz im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik gefallen. Es war der Sergeant Gilles Polin, 28 Jahre alt. Bei der Trauerfeier in Bayonne war die Europäische Union durch Javier Solana und mich vertreten, Frankreich durch Nicolas Sarkozy, Hervé Morin und Michèle Alliot-Marie. Die Ehrung des gefallenen Kameraden durch sein Regiment war ein Eindruck, den ich nicht vergessen werde.


Wohin soll es gehen?

Fähigkeiten

Bei jedem Besuch von Streitkräften unter der Führung der Europäischen Union fällt auf, wie unterschiedlich die Ausrüstung der verschiedenen nationalen Kontingente ist.

Dabei muss man sich in Erinnerung rufen, daß die 27 Mitgliedsländer der Europäischen Union jedes Jahr etwa 200 Milliarden für Verteidigung ausgeben. Fast die Hälfte der Verteidigungsausgaben der Vereinigten Staaten, aber nach dem Kriegen auf dem Balkan wurde uns von unseren amerikanischen Freunden bescheinigt, daß die Effizienz unseres Beitrages irgendwo zwischen 10 bis 20 Prozent lag.

Dazu kommt die internationale Finanzkrise, die zu einem starken Druck auf alle Verteidigungshalte führt. Daher stellt sich die Frage, welche Verbesserungen durch mehr Zusammenarbeit erzielt werden können.

Dabei kann man feststellen, dass die Defizite beizivilen und militärischen Einsätzen oft dieselben sind. Auch bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen geht es um Aufklärung, Navigation, Telekommunikation sowie Luft-, See- und Landtransport. Darum ist zu überlegen, wo in diesen Bereichen die bestehende Zusammenarbeit weiter verstärkt werden kann und ob hier auch Finanzierungsmöglichkeiten aus dem Haushalt der Europäischen Union bestehen.


Aufklärung, Navigation, Telekommunikation

Zunächst zur satellitengestützten Aufklärung. Bei der Krise in Georgien war es von großer Bedeutung, zu wissen, wer zu welchem Zeitpunkt die Grenze nach Südossetien überschritten hatte. Dem Europäischen Satellitenzentrum in Torrejon, den „Augen Europas“, stand jedoch damals nur kommerzielles Bildmaterial zur Verfügung. Zumindest eines der Mitgliedsländer verfügte damals über bessere Informationen aufgrund von eigenen Kapazitäten.

Inzwischen hat sich diese Situation durch Vereinbarungen mit den betreffenden Mitgliedsländern verbessert. Dazu kommt das satellitengeschützte Erdbeobachtungsprojekt GMES (Global Monitoring for Environment and Security), welches, wie schon sein Name sagt, auch Sicherheitsaspekte hat und mit einer Milliarde Euro aus dem Forschungsrahmenplan der Europäischen Union finanziert wird.

Weitere 3,4 Milliarden Euro aus dem Forschungsrahmenplan stehen für die Finanzierung des Satellitennavigationsprojektes Galileo zur Verfügung. Auch dieses Projekt hat notwendigerweise Sicherheitsaspekte, was allerdings umstritten ist. Das Europäische Parlament hat mit einer breiten Mehrheit gefordert, daß dieses Navigationssystem auch für die Einsätze von Streitkräften im Rahmen der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik zur Verfügung stehen soll. [4]

Weitere Möglichkeiten für gemeinsame sicherheitsrelevante Projekte, die den Weltraum betreffen, sind das Satellitenaufklärungsprojekt MUSIS sowie Projekte zur Überwachung internationaler Abkommen (Early Warning) und zur Überwachung der Sicherheit des Weltraumes (Space Awareness).

Im Bereich der Telekommunikation ist aus meiner Sicht ein Standardisierungsprojekt von größter Bedeutung, SoftwareDefined Radio (SDR). Eine Angelegenheit, die rein technischen Charakter zu haben scheint und deswegen oft unterhalb der Wahrnehmungsschwelle der politisch Verantwortlichen liegt. Es handelt sich um eine gemeinsame technische Basisnorm für geschützte Telekommunikation, die nicht nur für die Streitkräfte, sondern auch für Polizei und Katastrophenschutzeinrichtungen gelten soll. Dieses wäre bei gemeinsamen Einsätzen von großem Vorteil. Dieser Vorteil, der auch industriepolitische Bedeutung hat, wird allerdings nur zum Tragen kommen, wenn nicht letztendlich unterschiedliche Versionen dieses Standards beschlossen werden.


Transport

Weitere Möglichkeiten, die bestehende Zusammenarbeit zu verbessern, sind im Bereich des Transports zu finden. Schritte auf diesem Weg sind der Helikopter NH 90 und der Airbus 400 M. Wir sollten aber auch aus den Schwierigkeiten lernen, die bei diesen Projekten aufgetreten sind.

Im Bereich der Verteidigung gibt es noch keine EuropäischeZertifizierung, die im zivilen Bereich durch die Verwirklichung des Europäischen Binnenmarktes eine Selbstverständlichkeit geworden ist.

Alexander Weis, der damalige Leiter der Europäischen Verteidigungsagentur, hat mich auf die hier entstehenden Kosten hingewiesen. Der Helikopter NH 90 ist ein Projekt in der Größenordnung von 20 Milliarden Euro. Vier Milliarden davon sind Kosten, die dadurch entstanden sind, dass dieses Fluggerät nicht einmal für ganz Europa zugelassen werden konnte, sondern dass diese Prozedur in mehr als zwanzig Mitgliedsländern separat durchgeführt werden musste. Ein gutes Beispiel für Geldverschwendung durch den Verzicht auf gemeinsame Europäische Lösungen.


Pooling und Training

In anderen Bereichen gibt es positive Beispiele der Zusammenarbeit, wie bei der gemeinsamen Ausbildung für Piloten von Helikoptern und bei der Schaffung des Europäischen Lufttransportkommandos in Eindhoven.


Ausschreibung, Innergemeinschaftliche Verbringung

Die Regeln des Europäischen Binnenmarktes fanden in der Vergangenheit im Bereich der Verteidigung keine Anwendung. Der Vertrag enthält eine Ausnahmebestimmung, auf die sich die Mitgliedsländer zur Wahrung ihrer wesentlichen Sicherheitsinteressen berufen können. Diese Bestimmungen wurden bisher sehr extensiv angewendet.

Inzwischen haben jedoch das Europäische Parlament und der Rat Richtlinien erlassen über die Beschaffung und die innergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgütern[5]. Bei dieser Gesetzgebung wurde Neuland betreten, denn erstmals wurde das Verfahren der gleichberechtigten Mitentscheidung des Europäischen Parlamentes im Bereich der Verteidigung angewendet. Bemerkenswert war auch, dass es dabei keine grundlegenden Einwände aus Großbritannien gegeben hat, wohl auch deshalb, weil beide Richtlinien der wirtschaftspolitischen Philosophie der britischen Regierung entsprechen. Ein gutes Beispiel für angelsächsischen Pragmatismus.

Trotzdem wird es sich zeigen müssen, wie stark sich diese beiden europäischen Gesetze auswirken werden, denn sie stehen mit dem Artikel 346 des Vertrages (ex-Artikel 296) weiterhin in rechtlicher Konkurrenz.


SAFE

Für das Europäische Parlament war die Situation der Soldaten und der Zivilpersonen in gemeinsamen Europäischen Einsätzen von besonderer Bedeutung. Auf der Grundlage meines Berichtes über die Europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik, der am 19. Februar 2009 vom Europäischen Parlament mit breiter Mehrheit angenommen wurde, befürwortete das Europäische Parlament das Konzept SAFE (Sychronized Armed Forces Europe), welches der damalige Präsident des Europäischen Parlamentes, Hans-Gert Pöttering, erstmal bei der 7. Berliner Sicherheitskonferenz im Dezember 2008 vorgestellt hatte.[6] Dazu gehört ein europäisches Soldatenstatut, das Ausbildungsstandards, Einsatzdoktrin und Handlungsfreiheit im Einsatz, Fragen der Pflichten und Rechte sowie das Qualitätsniveau der Ausrüstung, der medizinischen Versorgung und die soziale Absicherung im Falle von Tod, Verwundung und Dienstunfähigkeit regelt. Später wurde dieses durch den Vorschlag eines Wehrbeauftragten des Europäischen Parlamentes ergänzt.


Parlamentarische Kontrolle

Haushalt und Information sind die wesentlichen Instrumente der Kontrolle, die einem Parlament zur Verfügung stehen. Das Europäische Parlament hat die ihm zur Verfügung stehenden Möglichkeiten nach besten Kräften genutzt.

Haushaltsrechte hat das Parlament nur bei den zivilen Einsätzen der Europäischen Union, die aus dem europäischen Haushalt finanziert werden. Diesen Hebel hat das Europäische Parlament benutzt, um die anfangs etwas zögerliche Information über die Sicherheits- und Verteidigungspolitik des Rates zu verbessern.

Demgegenüber werden die Einsätze von Streitkräften über einen Umlagemechanismus von den Mitgliedsländern finanziert. Hier liegen die Kontrollmöglichkeiten bei den nationalen Parlamenten.

Das Europäische Parlament hat des Weiteren alle ihm zur Verfügung stehenden Informationsmöglichkeiten genutzt. Am wichtigsten waren die regelmäßigen Informationsbesuche in den Krisenregionen auf dem Balkan, im Kongo, im Tschad und in Somalia. Dadurch war es möglich, vor den Entscheidungen des Rates über den Einsatz von Streitkräften eine Stellungnahme des Europäischen Parlamentes zu verabschieden.

Diese Erfahrung veranlasst mich auch, denjenigen zu widersprechen, die eine parlamentarische Kontrolle der Verteidigungspolitik grundsätzlich für problematisch halten, weil die Parlamente dafür zu langsam seien. Jedenfalls hatte das Europäische Parlament seine Meinungsbildung abgeschlossen, bevor der Rat über die Einsätze im Kongo und im Tschad entschieden hatte.

Im Übrigen liegt die Kontrolle bei den Parlamenten der Mitgliedsländer. Die Parlamentarische Versammlung der Westeuropäischen Union hat den Anspruch geltend gemacht, für die Kontrolle durch die Mitgliedsländer zuständig zu sein. Institutionell stand dieser Anspruch auf schwachen Beinen, wenn man auch der Parlamentarischen Versammlung eine gute inhaltliche Arbeit bescheinigen kann. Da diese Institution jetzt aufgelöst wird, gilt es jetzt neue Formen der Zusammenarbeit zwischen den Parlamenten der Mitgliedsländer und dem Europäischen Parlament zu entwickeln.


Ausblick

Das stärkste Argument für die Weiterentwicklung der Europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik sind derzeit die leeren Kassen der Mitgliedsländer. Wir können es uns nicht länger leisten, das Rad nicht einmal sondern siebenundzwanzig Mal zu erfinden.

Die Initiative von Karl-Theodor zu Guttenberg, dass die Mitgliedsländer zunächst einmal überprüfen, in welchen Bereichen sie Kapazitäten zur eigenen ausschließlichen Verfügung haben wollen und wo sie zur Zusammenarbeit oder auch zum Verzicht auf eigene Kapazitäten bereit sind, scheint mir ein realistischer Ansatz zu sein.

Auf dieser Grundlage könnten dann neue gemeinsame Initiativen entwickelt werden, wobei man sich am besten auf Projekte von Größenordnungen konzentriert, die aus finanziellen Gründen einzelnen Mitgliedsländern nicht mehr zugänglich sind. Außerdem sollte geprüft werden, wo weitere Möglichkeiten gemeinsamer Nutzung von Kapazitäten und von Einsparungen durch gemeinsame technische Standards und Zertifizierungen möglich sind.

Schließlich ist zu überlegen, in welcher Weise das Konzept der battle groups weiter entwickelt werden könnte. Unter anderem sollten diejenigen Länder, die Träger multinationaler Corps wie beispielsweise des Eurocorps sind, überlegen, ob sie im Rahmen einer Permanenten Strukturierten Zusammenarbeit dazu bereit wären, diese Einheiten der Europäischen Union permanent zur Verfügung zu stellen.

Was wir jetzt brauchen, ist eine breite öffentliche Diskussion über diese Fragen. Wir müssen die bestehenden Führungsstrukturen und Fähigkeiten nochmals unter die Lupe nehmen, um zu prüfen, ob sie den Anforderungen des 21. Jahrhunderts genügen.

Ob dieses eines Tages zu einer Europäischen Armee führen wird, ist eine Frage des politischen Willens. Es ist darum in erster Linie eine Frage an die Bürger der Europäischen


[1]Dazu: „Auf dem Weg zur Europäischen Verteidigung“, herausgegeben von Karl von Wogau, Herder Verlag Freiburg, 2003

[2] Ein Textdokument über die Schlussfolgerungen des Vorsitzes – Europäischer Rat in Helsinki 10. und 11. Dezember 1999 ist im Internet abrufbar unter http://www.europarl.europa.eu/summits/hel1_de.htm#II

[3] Siehe Karl von Wogau (ed.), The Path to European Defence; Javier Solana: 10 years of European Security and Defence Policy, page 2 ff., Verlag John Harper Publishing, 2009

[4] Entschließung des Europäischen Parlamentes vom 19.02.2009 –P6_TA-PROV(2009)0075 - Art. 50

[5] Richtlinie 2009/81/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 13. Juli 2009 über die Koordinierung der Verfahren zur Vergabe bestimmter Bau-, Liefer- und Dienstleistungsaufträge in den Bereichen Verteidigung und Sicherheit und zur Änderung der Richtlinien 2004/17/EG und 2004/18/EG; veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union vom 20.08.2009 L 216/76 ff. und die Richtlinie 2009/43/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 6. Mai 2009 zur Vereinfachung der Bedingungen für die innergemeinschaftliche Verbringung von Verteidigungsgütern; veröffentlicht im Amtsblatt der Europäischen Union vom 10.06.2009 L 146/1 ff.

[6] 7. Berliner Sicherheitskonferenz – Congress on European Security & Defence, 8. und 9. Dezember 2008; weitere Hinweise sind im Internet abrufbar unter: http://www.behoerden-spiegel.de/Internet/nav/f68/broker.jsp?uMen=f6810068-1671-1111-be59-264f59a5fb42&uCon=9a9796f7-084b-d11a-3b21-718a438ad1b2&uTem=aaaaaaaa-aaaa-aaaa-bbbb-000000000011