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Stellungnahme zur Diskussion um das amerikanische Raketenabwehrsystem


Dieser Artikel wurde veröffentlicht am 5. Oktober 2009 in EUROPE DIPLOMACY & DEFENCE The Agence Europe Bulletin on ESDP and NATO

Raketenabwehrsystem

von Dr. Karl von Wogau, Generalsekretär der European Security Foundation

Der amerikanische Präsident Obama hat erklärt, daß die Vereinigten Staaten auf die vorgesehenen Einrichtungen in Polen und Tschechien im Rahmendes amerikanischen Raketenabwehrsystems verzichten. Diese Entscheidung wurde von vielen so verstanden, als verzichte Amerika jetzt insgesamt auf das Projekt eines Raketenabwehrsystems zum Schutz der Vereinigten Staaten.

Obama hat jedoch gleichzeitig festgestellt, dass die USA ihre Raketenabwehrsysteme zunächst verstärkt auf Schiffen stationieren werden, wobei ihre Planungen auch weiterhin landgestützte Abfangraketen einbeziehen.Im Rahmen der Nato soll ein Abwehrsystem errichtet werden, in das auch Russland einbezogen werden soll.

Die Einbeziehung Russlands in ein mögliches Abwehrsystem ist sehr zu begrüßen. Sie greift Forderungen auf, die schon in der Vergangenheit aus Europa immer wiedererhoben wurden.Die Vereinigten Staaten knüpfen hier an frühere Verhandlungen an. Damals ging es um die Möglichkeit, ein russisches Radarsystem in das amerikanische System einzubeziehen. Eine Vereinbarung darüber kam damals nicht zustande.

Die Reaktionen aus Polen und Tschechien auf die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten zeigen, dass es für diese Länder eigentlich um etwas anderes ging als um den Schutz von Teilen Europas gegen einen möglichen Raketenangriff aus dem Iran. Es gingin erster Linie um das Engagement der Vereinigten Staaten gegenüber dem großen Nachbarn Russland.

Dieses wird besonders deutlich durch die Äußerungen des polnischen Außenministers Sikorski, wonach die Sicherheitspolitik seines Landes künftig stärker als bisher in die der Europäischen Union eingebettet werden müsse. Die Entscheidung der Vereinigten Staaten sei für seine Regierung eine „Lektion in Realismus“. Polen müsse erkennen, daß es besser sei, „zwei Versicherungspolicen“ zu haben als nur eine. Daher müsse es neben seiner Beziehung zu Amerika seine Wurzeln in Europa stärken. Sikorski wird mit dem Satz zitiert: „Nach Amerikas Raketen – Beschluss bleibt uns nur die Europäische Union“.

Andererseits haben Stellungnahmen Russlands immer wieder gezeigt, dass auch unsere russischen Gesprächspartner wussten, dass von diesen Anlagen keine Gefahr für Russland ausgehen könnte. In Wirklichkeit sah Russland seinen Status als gleichrangige nuklearstrategische Supermacht missachtet und fürchtete wohl auch, im technologischen Wettlauf mit den Vereinigten Staaten weiter zurückzufallen.

Die Entscheidung des amerikanischen Präsidenten gibt uns die Möglichkeit, auf unserer Seite des Atlantiks nochmals intensiv über diese Frage nachzudenken und zu gemeinsamen Schlussfolgerungen zu gelangen. Es war ein Armutszeugnis, dass es bisher in dieser Angelegenheit weder eine vorherige Abstimmung mit den betreffenden Mitgliedsländern noch eine gemeinsame Position Europas gegeben hat.

Dass dieses nicht so sein darf, zeigt ein einfacher Blick auf den Globus. Wenn eine Gefährdung durch den Iran besteht, ist diese für uns Europäer wesentlich näher als für die Vereinigten Staaten. Die Vereinigten Staaten haben in den vergangenen Jahren ein Abwehrsystem aufgebaut, für das sie bisher etwa 100 Milliarden Dollar ausgegeben haben. Über die Frage, wie leistungsfähig dieses System ist, gibt es unterschiedliche Meinungen. Fest steht jedoch, daß ein vergleichbarer Schutz für Europa nicht besteht.

Die Europäische Union hat im vergangenen Jahr ihre Sicherheitsstrategie überarbeitet. Diese geht von einem umfassenden Ansatz aus, bei dem zivile und militärische Instrumente der Vermeidung und der Bewältigung von Krisen miteinander verbunden werden. Dabei geht es um die Prävention von Krisen durch die Stabilisierung gefährdeter Staaten und den Einsatz der Instrumente der Union im Bereich der Entwicklungshilfe und der Nachbarschaftshilfe zur Sicherung des Friedens.

Das war auch der Ansatz der Europäischen Union in ihrer Beziehung zum Iran. Javier Solana hat diese Verhandlungen nicht nur als Hoher Beauftragter der Union geführt, sondern auch mit einem Mandat der Vereinigten Staaten, Russlands und Chinas. Neu ist, dass jetzt die Vereinigten Staaten auch direkt an diesen Verhandlungen beteiligt sein werden.

In der öffentlichen Diskussion ist nach wie vor umstritten, ob, wann und für wen die Entwicklung von spaltbarem Material und von Trägerraketen durch den Iran eine Bedrohung darstellt.

Bisher hat der Nichtverbreitungsvertragnicht verhindern können, dass das globaleGleichgewicht des Schreckens, das vordem Zerfall der Sowjetunion bestand, mit dem Hinzukommen weiterer Atommächte auf der regionalen Ebene durch eine labile nukleare Arithmetik ersetzt wird. Denn die Drohungen Ahmadinedjads richten sich nicht nur gegen Israel, sondern auch gegen die Vereinigten Staaten und Europa.

Dazu kommen die neuen Informationen über den bisher geheimen Bau einer zweiten Urananreicherungsanlage durch den Iran. Mit Recht hat Präsident Obama festgestellt, dass die Größe und die Beschaffenheit dieser Einrichtung nicht zu einem friedlichen Programm passen.

Aufgrund der Initiative von Kissinger und Nunn und der Erklärungen von Präsident Obama hat jetzt eine intensive Diskussion über das Ziel einer Welt ohne Atomwaffen begonnen. Die Nato arbeitet an ihrem neuen Strategischen Konzept und das Europäische Parlament hat gefordert, ein Weißbuch zur Europäischen Sicherheit und Verteidigung zu erarbeiten.

In diesen Zusammenhang gehört auch die Diskussion über den Raketenschild. Für uns Europäer wird es dabei darauf ankommen, die gemeinsamen Sicherheitsinteressen der Mitgliedsländer der Europäischen Union in den Mittelpunkt dieser Debatte zu stellen.